Familie
Bewertet mit 4 Sternen
Daniel weiß schon ganz genau, was er zu seiner bevorstehenden Konfirmation anziehen möchte, ein blaues Samtsakko und eine graue Flanellhose. Als er mit seiner Mutter in die Stadt fährt, ist er sich sicher sie von seiner Wahl überzeugen zu können, allerdings macht seine Mutter nach einem Besuch auf der Bank nicht mehr den Eindruck, als hätte Daniels Kleiderwahl derzeit Priorität.
Christian Schünemann nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise ins Jahr 1983, zur einer ganz normalen deutschen Familie. Die Eltern, Daniel und seine drei Geschwister leben in einem schmucken Einfamilienhaus, das der Vater selbst geplant und gebaut hat, es geht der Familie gut. Zumindest nach aussen hin möchten die Eltern diesen Eindruck vermitteln, dass es bei Regen durchs Dach tropft und im ganzen Haus dann Töpfe, Schüsseln und Eimer aufgestellt werden, muss ja niemand wissen und auch nichts von den unheilvollen Briefen, die seit einiger Zeit ins Haus flattern. Gerade Daniels Mutter ist sehr darauf bedacht, dass der Schein gewahrt bleibt, plant lieber das neue Rosenbeet um den Pool und als der Besuch der Schwiegermutter ansteht wird dieser lieber heile Welt vorgespielt, als offen über die Probleme zu sprechen.
Ich fühlte mich Ich-Erzähler Daniel recht schnell verbunden, sind wir doch alterstechnisch nicht all zu weit auseinander und ich kann mich noch gut daran erinnern, wie toll es war, als meine Jugenweihe anstand. Dem Autor gelingt es gut das typische 80er Feeling aufkommen zu lassen. Auch wenn ich in der ehemaligen DDR aufgewachsen bin erkenne ich doch vieles wieder und gerade Daniels Musikgeschmack weckt Erinnerungen. Daniels Geschwister nehmen mehr, oder weniger die Rolle von Statisten in der Geschichte ein, präsenter ist da schon Daniels beste Freundin Zoe, mit der er offen über die finanzielle Situation der Familie sprechen kann. Daniels Vater habe ich eher als etwas farblos empfunden, als sehr ruhigen Zeitgenossen, zwar mit viel Leidenschaft für die Häuser, die er geplant und gebaut hat, aber auch nicht unbedingt als durchsetzungsfähig und eher unbedarft im Umgang mit Geld. Daniels Mutter nimmt da schon mehr Raum in der Geschichte ein, oft auch als treibende Kraft, wenn es darum geht nach Höherem zu streben. Sie ist die Planerin, die Strategin der Familie, eine Getriebene, bei der man schnell merkt, dass sie sich eigentlich etwas anderes vorgestellt hat als dieses typisch Keinbürgerliche. Leider ist sie aber auch die Unsympatische in der Geschichte, die, bei deren Verhalten ich als Mutter oft nur den Kopf schütteln konnte, auch, wenn ich ihre Beweggründe manchmal nachvollziehen kann.
Zur Familie gehören auch noch die beiden Großmütter, Oma Lydia und Oma Henriette. In Rückblenden lässt der Autor den Leser auch an deren Leben teilhaben, man erfährt wie sie ihre späteren Männer kennenlernen, Kinder bekommen, diesen durch die Wirren des Krieges bringen und die Familie danach zusammenhalten. Zwei Lebenswege, die sich ähneln, aber trotzdem verschiedener nicht sein könnten. Der Autor spannt hier einen Bogen über mehrere Generationen und bringt Themen zur Sprache, die zur Geschichte der meisten Familien gehören. Er ergreift hier allerdings keine Partei, schildert lediglich Fakten und überlässt es dem Leser sich hierzu eine Meinung zu bilden. Auch hier kommen bei mir viele Erinnerungen hoch, wenn ich an meine eigene Oma denke.
Christian Schünemann schreibt sehr leicht und fast poetisch über die Banalitäten des Familienlebens, man hat als Leser das Gefühl man sitzt zusammen mit Daniel und seiner Mutter im Auto, begleitet sie zur Bank, oder steht neben ihr im Tante Emma Laden. Das Buch weckt Gefühle und Erinnerungen an die eigene Kindheit und Jugend und eben auch an die Zeit. Daniel als Erzähler, ist ein sehr guter, aber absolut werfreier Beobachter. Er schafft es dem Leser einen liebevollen Blick auf seine Familie zu vermitteln, ohne dabei irgendwelche Schuldzuweisungen ins Spiel zu bringen. Man merkt ihm zwar an, dass er traurig ist, enttäuscht, oder auch mal wütend, dass er aber eben auch als Teil der Familie, deren Entscheidungen mitträgt.
Der Autor hat eine fast langweilige Familiengeschichte geschrieben, ruhig, ernst, aber auch humorvoll und traurig. Ich wusste lange nicht wirklich, was er mir damit sagen will. Das Buch hat mir gefallen, ja, aber ich habe einen gewissen Sinn hinter all dem vermisst. Bis zum Nachwort des Autors, das emotionaler nicht hätte sein können und letztlich alles erklärt. Ich hätte mir dieses Nachwort vielleicht eher als Vorwort gewünscht. Da ich aber nicht genau sagen kann, ob ich die Geschichte dann genauso empfunden hätte, wie ich es letztlich getan habe, würde ich nicht unbedingt empfehlen, es vorher zu lesen. Macht euch einfach euer eigenes Bild.