Rezension

Familiendrama mit aussergewöhnlicher Erzählstruktur

Summer - Monica Sabolo

Summer
von Monica Sabolo

Bewertet mit 4 Sternen

Die neue Wandfarbe ist Schuld: Plötzlich erinnert sich Benjamin Wassner wieder, als vor 24 Jahren seine 19-jährige Schwester Summer spurlos bei einem Picknick am Genfer See verschwand. Ein einschneidendes Erlebnis für den damals 14-jährigen schüchternen Jungen, der seine Schwester nahezu vergötterte. Doch was damals wirklich geschah, weiß Ben bis heute nicht. Wird er Antworten finden in den Erinnerungen, welche er bis vor kurzem verdrängte?

 

"Ich möchte den Arm ausstrecken, aber ich bin wie gelähmt oder gar nicht da, die Fische schwärmen und spinnen ein dichter werdendes Netz um meine Schwester, bis sie sie ganz eingewickelt haben, ihre Haare treiben weiter im Wasser, doch ihr Körper ist fort." (Zitat S. 27)

 

Benjamins Erinnerungen an die Momente seiner Kindheit und Jugend kommen sehr durcheinander und verworren zurück, eine entsprechend chronologische Unordnung findet sich somit auch im Buch wieder. Zudem sind seine Erinnerungen teilweise recht düster und wirken, als würde er nicht richtig zur Familie gehören. Erst mit der Zeit schafft Benjamin es, Ordnung in sein Erinnerungschaos zu bringen und die richtigen Schlüsse aus seinen Beobachtungen zu ziehen, zu welchen er damals noch nicht in der Lage war. Dabei entwickelt sich der Roman von Seite zu Seite immer mehr zu einem Familiendrama.

Das Buch besticht durch seine poetische Wortwahl, welche manchmal passte, stellenweise jedoch wie übertrieben wirkte. Zudem stellte sich beim Lesen heraus, dass "Summer" vielmehr ein Buch über Ben selbst ist als nur über seine Schwester. Atmosphäre hat der Roman auf jeden Fall, die chonologische Unordnung von Bens teils stark subjektiven Erinnerungen machte das Lesen vor allem zu Beginn zu einer Herausforderung. Dennoch war es interessant mitzuverfolgen, wie Benjamin nach und nach den Vorhang lichtete und begann, seine Familie mit den Augen der Erkenntnis zu betrachten, wie Glanz und Glamour nach und nach erloschen.

Sehr gefallen hat mir, wie Monica Sabolo Benjamins Erinnerungen zu einem Knäuel verstrickte, aus dem lange Zeit nicht ersichtlich war, was die einzelnen Details für eine Bedeutung haben könnten. Auch ist Ben als in sich gekehrter Charakter gut gezeichnet, wenn auch mir von Kapitel zu Kapitel immer unsympathischer werdend. Ein atmosphärischer, etwas düsterer Roman mit einer aussergewöhnlichen chronologischen Erzählstruktur, bei welchem man als Leser miträtseln kann, welches Schicksal Summer einst erlitt.