Rezension

Familiendrama mit Tiefe

Ihr Königreich - Jo Nesbø

Ihr Königreich
von Jo Nesbø

Bewertet mit 4 Sternen

Die Brüder Roy und Carl leben in den Bergen der norwegischen Kleinstadt Os ihre scheinbar ganz gewöhnliche Kindheit, bis die Eltern verunglücken. In verschiedenen Zeitebenen erfährt der Leser scheibchenweise aus Roys Sicht, was sich in den Jahren so zugetragen hat und das ist eine ganze Menge. Zum einen das Verhältnis des Vaters zu seinen Söhnen, dann Ermittlungen in einer Unfallgeschichte, die sich weiter entwickelt und die Brüder immer mehr zusammenschweißt, obwohl sie von grundlegend verschieden sind.
Roy ist eher der Eigenbrötler und Automechaniker, der sich nur wenig aus Menschen zu machen scheint, solange er nur seine Arbeit hat. Carl hingegen ist ein eher karriereorientierter Mensch, der seiner Heimat und damit auch seinem Bruder vor über einem Jahrzehnt den Rücken kehrte, um in den USA erfolgreich zu werden – komme, was will. Nun plötzlich taucht Carl gemeinsam mit seiner Frau Shannon auf, um ein Großprojekt in den Bergen von Os zu verwirklichen. Dabei kommt allerhand aus der Vergangenheit ans Licht und erfordert, dass Roy mal wieder hinter seinem kleinen Bruder aufräumt.

Nesbo und ich – das passt gewöhnlich einfach nicht zusammen. Da er aber so beliebt ist, musste ich ihm nochmal eine Chance geben, zumal mich der Klappentext direkt angesprochen hatte. Und ich kann schon verraten: Er hat mich überzeugt, wenn auch nicht zu 100 Prozent!
Das Setting und die grundlegende Geschichte finde ich genial. Roy ist ein interessanter Erzähler und Nesbo schafft es authentisch dem scheinbar einfach gestrickten Mechaniker immer wieder neue Facetten zu verpassen, die ein authentisches Gesamtbild ergeben. Und nicht nur das – trotz allem, was er so über die Jahrzehnte alles angestellt hat, war er mir sympathisch. Shannon und Carl, sowie mancher Dorfbewohner haben da zwiespältige Gefühle in mir ausgelöst, während die örtliche „Bildzeitung“, passend als Frisörin tätig, und der ach so tolle ehemalige Bürgermeister samt Anhang direkt bei mir unten durch waren.

Mit der Spannung war es am Anfang noch nicht so weit her, aber man spürte, dass da noch einiges kommen wird und so war es dann auch. Menschliche Abgründe der übelsten Sorte führen dazu, dass auch andere ihre dunklen Seiten kennenlernen….Es ist nicht immer super spannend, aber unterschwellig ist die Spannung auf jeden Fall da und man fragt sich, wo der nächste Unfall lauert, wo vielleicht direkt schwere Geschütze aufgefahren werden müssen. Dieses Familiendrama im dörflichen Umfeld ist nicht wirklich ein Krimi, Ermittlungen der „normalen“ Sorte sind nur wenige vorhanden, aber das tut der Sache keinen Abbruch.

Mir gefiel das Tiefgründige hinter der Geschichte, die Einblicke in die Psyche dieser speziellen Brüder einer Familie, die unters Brennglas gehalten, alles andere als gut war und die Verbrechen, die sich daran anschließen. Wer ist gut, wer böse? Kann man ein guter Böser oder ein schlechter Guter sein? Man muss ein wenig Geduld als Leser mitbringen, da die detailreichen Schilderungen über knapp 600 Seiten nicht immer sehr spannend sind, aber es plötzlich mit teils unerwarteten Wendungen werden können. Außerdem muss man auch häufiger mal schwer schlucken, denn was alles an Tragödien zwischen diesen Buchdeckeln passiert…. – aber lest selbst.