Rezension

Fanatiker haben keinen Humor

Der Scherz - Milan Kundera

Der Scherz
von Milan Kundera

Bewertet mit 4 Sternen

Am 28. November 2019 wurde Milan Kundera wieder tschechischer Staatsbürger – 40 Jahre, nachdem ihn die Staats- und Parteiführung der CSSR ausgebürgert hatte, weil sich der Schriftsteller des wiederholten antikommunistischen Dissidententums schuldig gemacht hatte. Mit einem völlig ahnungslosen Gespür für den richtigen Zeitpunkt war dies genau der Tag, an dem ich den „Scherz“ von Kundera ausgelesen hatte – sein Erstling, für den ihn die Parteiführung aber wahrscheinlich auch schon hätte aus dem Land werfen mögen.

„Der Scherz“ ist eine aus der Laune heraus abgesendete Postkarte des aktivistischen Studenten Ludvik, der damit eigentlich die Hundertfünzigprozentige Markéta provozieren wollte, aber eigentlich nur sein eigenes Leben zerstörte: Von der Uni, aus der Partei und ins Arbeitslager geworfen, landet Ludvik sogar im Gefängnis, weil er nicht begriffen hatte, dass der kommunistische Aufbruch der tschechoslowakischen Gesellschaft etwas Totalitäres hatte. Und Fanatiker wie Totalitaristen haben eines gemeinsam: Sie verstehen absolut keinen Spaß. Ludvik kann sich damit nicht abfinden und hegt einen Hass auf jene, die ihn weiland verstießen. Um diesen Hass in Rache zu verwandeln, verabredet er sich mit Helena in seiner Geburtsstadt, wo er sich an ihr stellevertretend für ihren Gatten rächen will. Kein schöner Zug – wie überhaupt Ludvik kein Sympath ist. Einerseits erregt sein Schicksal in der kommunistischen Unterdrückungswelt der 1950er Jahre das Mitleid des Lesers, immerhin fühlt man seine Machtlosigkeit angesichts des Apparats, den andere besser bedienen können. Anderseits ist Ludvik ein gnadenloser Egoist – was ironischerweise sogar einer der Parteivorwürfe gegen ihn ist.

Von den letzten zwanzig Jahren zwischen Ludviks „Scherz“ und der Handlung in seiner Geburtsstadt erzählen sieben Kapitel, die aus der Sicht von Ludvik, Helena, Jaroslaw und Kostka geschrieben sind. Geschickt komponiert Kundera die Sichtweisen der handelnden zusammen – oder besser: gegeneinander. Man versteht, dass Jaroslaw, der idealistische Volksmusiker, der nach dem Urgrund der tschechoslowakischen Seele tauchen will, und Ludvik Gegenpole ein und desselben individuellen Scheiterns im falsch aufgezogenen Kommunismus sind. Helena und Kostka hingegen finden ihre Nischen und dort so etwas wie Glück: in Naivität oder festem Christenglauben.

Kunderas Roman erschlägt einen fast mit seiner Dichtigkeit: Man hat das Gefühl, zwischen den Zeilen und Worten sei gar kein Platz mehr für etwas anderes. Wie eine feste Walze überfährt einen die Erzählung bunt, gnadenlos, empathisch, gefühlvoll und klug. Nach der „Unerträglichen Leichtigkeit des Seins“ ist dies meine zweite Kundera-Erfahrung, die ich noch weitaus intensiver empfand.

Dennoch ziehe ich einen Stern von der Wertung ab, weil mir die Frauenfiguren nicht gefallen. Alle – Lucie, Helena, Jaroslaws Frau Vlasta – sind schwach und dienen den handelnden Männern stets dazu, sich als Beschützer, Retter oder Gestalter ihrer eignen, männlichen Welt aufzuspielen. Möglicherweise schimmert hier die virile Welt der Altvorderen noch hindurch?

„Der Scherz“ jedenfalls meint es ernst und geht unter die Haut.