Rezension

Fanatische Ideologie als Zerreißprobe

Ein wenig Glaube - Nickolas Butler

Ein wenig Glaube
von Nickolas Butler

Bewertet mit 5 Sternen

Das Ehepaar Lyle und Peg Hovde leben in Wisconsin und freuen sich riesig über die Entscheidung ihrer Adoptivtochter Shiloh, mit ihrem kleinen 5-jährigen Sohn Isaac bei ihnen einzuziehen, nachdem der Kindsvater sie verlassen hat. Lyle und Peg mussten schon einen schweren Schicksalsschlag durch den frühen Tod ihres Sohnes durchleben, nun soll wieder Leben im Haus einkehren. Als sie erkennen, dass Shiloh sich einer radikalen Sektengemeinschaft angeschlossen hat, die auch Einfluss auf Isaacs Leben nimmt, versuchen sie, Shiloh ins Gewissen zu reden. Doch diese blockt alle Einwände ab und distanziert sich immer mehr von ihren Eltern. Ihr Verhältnis zum Sektenpastor Steven macht die Lage nur noch schlimmer, zumal die Sekte den kleinen Isaac dazu benutzt, als Heilsbringer zu fungieren.  Als Isaac während einer Reise von Shiloh bei seinen Großeltern wohnt und krank wird und ins Krankenhaus muss, eskaliert die Lage zwischen Lyle, Peg und Shiloh…

Nickolas Butler hat mit „Ein wenig Glaube“ nach seinen beiden hervorragenden Büchern „Shot Gun Love Songs“ und „Die Herzen der Männer“ wieder einen tiefgründigen, intensiven und sehr emotionalen Roman vorgelegt, der dem Leser ans Herz geht und vor allem nachdenklich stimmt, wie er selbst in solch einer Situation handeln würde. Der Erzählstil ist flüssig, bildhaft, gefühlvoll und vor allem berührend. Butler weiß, wie er mit wenigen Worten die Lage so umreißen kann, um den Leser nicht an der gefühlsmäßigen Zerrissenheit der Großeltern teilhaben zu lassen, sondern er zeigt auch die gefährlichen Methoden von Sekten und deren extremen Einfluss auf das Leben von Menschen auf. Es geht aber auch um die Frage, was ist falsch und was ist richtig. Wie weit darf man sich in das Leben anderer einmischen, egal, wie nahe diese einem stehen und ist ein Eingriff richtig, nur weil diese Person an etwas anderes glaubt als man selbst. Darf man anderen seine eigene Meinung aufzwingen und sie bevormunden, wenn es um Glaubensfragen geht? Butler hat seine Geschichte in Anlehnung eines tatsächlichen Falles aus dem Jahr 2008 geschrieben und verdeutlicht in eindringlichen Worten die Gratwanderung zwischen gefährlicher Ideologie und den Wunsch, geliebte Menschen vielleicht auch vor sich selbst zu beschützen. Das Buch beleuchtet beide Seiten sehr anschaulich, fesselt den Leser, dessen Gehirn anhand der Geschichte und der verzwickten Lage regelrecht raucht, während er sich Gedanken macht, wie man hier eine für alle Beteiligten praktikable Lösung finden könnte, um die unüberwindbar scheinenden Gräben zwischen den Personen wieder zu schließen.

Seinen Charakteren hat Butler mit viel Liebe zum Detail Leben eingehaucht und ihnen durch persönliche Eigenschaften Individualität und Authentizität verliehen. Der Leser darf in die Familie Hovde einziehen und sich in einige von ihnen hineinversetzen, ihren Zwiespalt sowie ihre Hilflosigkeit nachvollziehen. Lyle und Peg sind freundliche, warmherzige Menschen, die ihre Tochter und ihren Enkel sehr lieben und sich verständlicherweise große Sorgen machen. Lyle ist rücksichtsvoll und wägt viel ab, um den richtigen Ton zu treffen. Seine Gedankenkarussell ist gut nachvollziehbar und macht ihn sehr sympathisch, denn er macht es sich nicht leicht und geht auch mit sich selbst ins Gericht. Shiloh ist eine bockige und verblendete Frau, die sich nichts sagen lässt und völlig blind ihr Kind für Scharlatanerie zur Verfügung stellt. Isaac ist ein fröhlicher kleiner Kerl, der anderen Freude bereitet und nicht versteht, welches Schicksal seine Mutter ihm mit ihren Entscheidungen zugedacht hat. Pastor Steven besitzt Charisma und eine gewisse Anziehungskraft, er weiß die Menschen zu manipulieren und für seine Zwecke zu missbrauchen. Dabei ist er kalt wie ein toter Fisch.

Mit „Ein wenig Glaube“ kann Butler erneut sein außergewöhnliches Erzähltalent beweisen. Er lässt den Leser eine Achterbahn der Gefühle durchleben, während er zu Gast bei den Hovdes ist und sich einmal mehr fragt, wie er selbst mit dieser schwierigen Situation umgehen würde. Sehr aussagekräftig und wunderbar erzählt, ist hier die absolute Leseempfehlung mehr als verdient!