Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Fantastisch

Lauf, wenn der Moorwolf heult - Gabriele Popma

Lauf, wenn der Moorwolf heult
von Gabriele Popma

Bewertet mit 5 Sternen

Die Beziehung zwischen Patrick und Nela ist sehr komplex, durch Missverständnisse geprägt und keineswegs auf einem sicheren Standbein aufgebaut. Somit wird sie sehr realistisch geschildert, man erlebt die Sorgen, Ängste und Verliebtheitsgefühle beinahe hautnah mit und darf dabei zusehen, wie beide miteinander wachsen.

Der Jugendroman „Lauf, wenn der Moorwolf heult“ von Gabriele Popma ist am 23. Oktober 2017 in Norderstedt in erster Auflage als Taschenbuch erschienen. Er umfasst 288 Seiten, die in 24 Kapitel unterteilt sind. Als Ebook ist der Roman ebenfalls erhältlich.

Klappentext

Ein Schrei riss sie herum. Atemlos sah sie, wie Patrick einige Meter hinter ihr ins Gras stürzte. Dann streifte sie ein eiskalter Windhauch, der sie erzittern ließ. Wieder hörte sie das unheimliche Heulen und dieses Mal klang es triumphierend.

Die schüchterne, 16-jährige Nela verbringt die Ferien bei ihrer Tante auf dem Land und befürchtet, vor Langeweile zu sterben. Die Aussichten bessern sich, als sie auf den attraktiven Patrick trifft. Der aber hat mit ganz eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen, mit denen Nela zu Beginn nicht ganz klar kommt.
Doch dann jagt eine geisterhafte Erscheinung ihr eine Heidenangst ein. Kann sie ergründen, was es mit dem unheimlichen Phänomen, von dem sie unerbittlich verfolgt wird, auf sich hat?

Eine Geschichte über Ängste und Probleme, über Mut, Hoffnung und die erste Liebe.

Bewertung

Es handelt sich um ein Jugendbuch, das einen roten Faden aufweist und auch im Verlauf der Geschichte nicht an Spannung verliert. Ich habe mich stets gut unterhalten gefühlt, es kamen unterschiedliche Emotionen auf, die alle Bereiche bedienten. Ob man nun ein prickelndes Gruselgefühl im Hinblick auf den Moorwolf empfindet, die beginnende Zuneigung zwischen Patrick und Nela gespannt verfolgt, oder das eigene Teenager-Ich in Nelas Problemen wiederfindet, bleibt jedem Leser selbst überlassen. Mich überzeugt die Autorin insgesamt vor allem durch den lockeren und frischen Schreibstil, der an den richtigen Stellen noch an Intensität gewinnt.

Die Protagonistin des Romans ist in meinen Augen eine ganz normale Teenagerin. So ist Nela natürlich alles andere als begeistert, als es statt mit ihren Freundinnen nach Rom in das kleine Städtchen Langenfelden gehen soll, in dem ihre Tante wohnt. Manch ein Erwachsener mag hier schon herzlich schmunzeln, schließlich ist der Plan, den Nela und ihre Freundinnen Isabel und Larissa sich zurechtgelegt haben, nun wirklich sehr wahnwitzig. Umso stärker habe ich beim Lesen Nelas Enttäuschung nachvollziehen können. Sie ist wirklich davon überzeugt, dass der Ausflug nach Rom klasse geworden wäre und nur der Gedanke an ihre junge Tante Lisa hilft ihr, nicht komplett demotiviert angesichts der geänderten Ferienpläne zu sein.

Ein großes Thema, mit dem der Leser bzw. die Leserin sich auseinandersetzen darf, ist die Behinderung des Deuteragonisten Patrick. Der Start der beiden Teenager ist denkbar holprig, nicht nur, weil Nela zuerst gar nicht weiß, wie sie mit Patrick umgehen soll, sondern auch, weil dieser bereits mit ihrer Tante bekannt ist und das natürlich für eine Nähe sorgt, die nicht immer angenehm ist. Mir hat besonders gut gefallen, dass sich hier ein sehr wichtiger Blickwinkel auf das Thema eröffnet hat, der häufig totgeschwiegen wird. Bei der Lektüre anderer Werke, in denen ein beeinträchtigter Charakter vorkommt, habe ich oft das Gefühl bekommen, dass man bloß nicht zeigen darf, dass man Probleme mit dem Thema hat. Es wird vermittelt, dass der Charakter schon genug Probleme hat, da wäre es „unhöflich“ und „gesellschaftlich falsch“, nicht absolut souverän im Umgang mit Behinderungen zu sein. Doch genau das wird hier nicht impliziert, eher ist es so, dass allen Beteiligten das Recht auf ihre Gefühle nicht nur eingeräumt wird, es wird ihnen sogar explizit zugesprochen. Patrick fasst nach einer Weile in Worte, dass er glaubt, dass andere ihn seit seinem Unfall mit anderen Augen sehen, während Nela erkennt, dass er selbst es ist, der anderen dieses Problem zuschreiben möchte. Nela selbst lernt mit der Zeit dazu und erkennt, dass sie vor allem um ihr eigenes Ansehen besorgt ist, da ihre Freundinnen Patrick möglicherweise nicht als vollwertigen jungen Mann anerkennen könnten. Dass sie mit diesem Gedanken nicht so falsch liegt, sieht man an ihrer Freundin Larissa, die sich diesbezüglich häufig sehr eindeutig äußert. Auch in Larissa sehe ich nach wie vor einen höchst interessanten Charakter, der für mich durchaus eine breite Bevölkerungsgruppe widerspiegelt, mit der der Umgang nun wirklich nicht einfach ist. Larissa ist selbstverliebt, oberflächlich und nicht gerade emphatisch begabt, während sie zumindest auf den ersten Blick alles zu haben scheint, was ein junges Mädchen sich wünscht. Dass es alles mehr Schein als Sein ist und ein Ersatz für eine intakte Familienkonstellation darstellt, fällt dem aufmerksamen Leser dabei schon früh auf. Larissas Äußerungen sind somit häufig sehr grenzwertig, aber es hat Spaß gemacht, hinter die Fassade zu schauen und sich zu überlegen, was diese Äußerungen am Ende über sie selbst und ihren Gemütszustand aussagen. Die meisten, jungen Mädchen werden wohl mindestens eine Larissa in ihrem Freundeskreis haben und es ist umso wichtiger, in ihr einen Maßstab für das eigene Heranwachsen zu sehen. Sehr häufig wird eine Larissa da schnell überflüssig.

Die Beziehung zwischen Patrick und Nela ist sehr komplex, durch Missverständnisse geprägt und keineswegs auf einem sicheren Standbein aufgebaut. Somit wird sie sehr realistisch geschildert, man erlebt die Sorgen, Ängste und Verliebtheitsgefühle beinahe hautnah mit und darf dabei zusehen, wie beide miteinander wachsen. So erreicht diese Verbindung eine Tiefe, die eher wenige Jugendromane in dieser Art vorweisen können. Die Erwachsenen sind nicht nur Eckpfeiler dieses Prozesses, sondern vermitteln gleichzeitig, dass auch in ihrer Altersspanne nichts einfach ist. Lisa hat häufig genau dieselben Probleme in der Liebe wie ihre junge Nichte, nur ist sie eben ein Kapitel weiter. Das heißt jedoch nicht, dass sie damit auch weiser ist. Dennoch findet Nela in ihr nicht nur eine fürsorgliche Tante, sondern auch eine einfühlsame Freundin.

Der Moorwolf, der die ganze Geschichte wie ein unsichtbares Band zusammenhält und umspielt, hatte für mich mehrere Bedeutungen. Einerseits war er ein Gruselelement, andererseits hat er die Beziehung von Nela und Patrick wohl unbewusst immer wieder vorangetrieben. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich ganz schön vor ihm gegruselt habe, gerade zu Anfang des Romans. Aber möglicherweise bin ich auch nur besonders schreckhaft, wer weiß ;)

Je mehr ich über den Moorwolf erfahren habe, desto eher konnte ich ihn auch als Symbol für ein Problem sehen, das in der Menschheitsgeschichte wohl fast so alt wie der Mensch selbst ist. Er wurde vorverurteilt, man hat ihm gewisse, negative Attribute zugeschrieben und aus Furcht vor ihm auch allerhand schlimme Dinge in seine bloße Existenz hineininterpretiert. Im Grunde kann man sogar eine kleine Brücke zu den bekannten Hexenprozessen finden, es wurde ein Schuldiger gesucht und hier fand man ihn eben in dem Moorwolf, der wohl einfach unheimlich auf die Bewohner gewirkt hat. Obwohl seine Geschichte sehr tragisch war, kann ich in ihm auch ein Symbol der Hoffnung sehen. Einerseits, wenn man eine Affinität für Geister und übernatürliche Phänomene hat, denn der Umgang mit diesen ist ja auch sehr komplex. Im Roman wurden nun verschiedene Mittel ausprobiert, um sich die Anwesenheit des Moorwolfs zu erklären und auch die tiefe Bedeutung der Heimatsgeschichte und mündlichen Tradierung wurde gebührend behandelt. Der Moorwolf selbst hat ein Ziel, er gibt nicht auf, während er gleichzeitig immer wieder missverstanden wird. Ich konnte beim Lesen sogar eine gewisse Verbindung zwischen der Nähe des Moorwolfs zu Nela und ihrer Nähe zu Patrick erkennen. So habe ich sogar zeitweise gerätselt, ob zwischen Patrick und dem Moorwolf eine Verbindung besteht. Angenehm war, dass ich nie das Gefühl hatte zu wissen, wie die Geschichte ausgeht.

Vor allem Nela wächst im Verlauf des Buches heran, nicht unbedingt körperlich, aber durchaus geistig. Sie gewinnt Selbstvertrauen, weiß, was sie wert ist und steht für sich selbst ein. Mir hat zugesagt, dass hier nicht das Bild der jungen und teilweise dummen Frau vermittelt wird, die einem Mann alles glaubt und verzeiht. Nela ist anders, sie nimmt sich das Recht, wütend zu sein und Patrick auch mal eine Zeit zu ignorieren, wenn sein Verhalten nicht in Ordnung ist. Aussprachen auf Augenhöhe gibt es ebenfalls, man hat das Gefühl, dass beide in dieser Bindung gleichberechtigt sind. Auch das ist ein klares und sehr wichtiges Zeichen im 21. Jahrhundert, in dem sich die Rolle der Frau zum Glück verändert hat.

Fazit

Um nicht mehr allzu viel vorweg zu nehmen, kann ich Fans von einem Happy End, das sich rundum gut anfühlt, nur ermutigen, den „Moorwolf“ zu lesen. Ich empfehle ihn nicht nur Jugendlichen, sondern auch Erwachsenen, die ein Buch zum Miträtseln und Wohlfühlen suchen. Gerade junge LeserInnen bekommen wichtige Werte vermittelt, ob nun in Beziehungsfragen, oder darin, sich selbst so zu lieben, wie sie sind. Die Botschaft des Romans war in meinen Augen vor allem die, dass das Leben zwar nicht immer so spielt, wie wir es wollen, wir aber die Chance haben, das Beste für uns daraus zu machen. Eine schöne Lektion, die für alle Altersstufen geeignet ist. Von mir gibt es volle fünf Sterne, da ich mich rundum gut unterhalten gefühlt habe!