Rezension

(Fast) nur von regionaler Bedeutung: insgesamt enttäuschend

Patria - Fernando Aramburu

Patria
von Fernando Aramburu

Bewertet mit 3 Sternen

Familienroman mit (unendlichen) Längen. Für mich zu sehr aufs Detail fokusiert. Jedoch brandaktuell.

Die ETA ist eine terroristische Separatistenorganisation, die seit 1959 mit gewaltsamen Mitteln, zahlreichen brutalen Morden, für die Unabhängigkeit der Basken eintrat. Sie wollten einen eigenen Staat im Norden Spaniens und im Südwesten Frankreichs erstreiten. Das muss man entweder wissen oder nachschlagen, aus „Patria“ erfährt man es nicht!

2018/Mai informieren die Medien darüber, dass sich die ETA auflöst. „Patria“ wurde schon 2016 auf spanisch veröffentlicht. Insofern hat Fernando Aramburo vorausschauend gearbeitet, der Roman ist brandaktuell. Was seine Beliebtheit erklärt. Und die spanischen Preise, die der Roman einheimste: Premio Nacional de la Crítica und Premio Nacional de Narrativa, 2017. Denn „Patria“ beschreibt akribisch und fast ausschließlich das Leben zweier einst eng befreundeter Familien im baskischen Dorf Guipúzcoa, die sich entfremden als die eine Familie mit der ETA sympathisiert, die andere aber Opfer dieser baskischen Untergrundsorganisation wird.

„Patria“ ist sowohl die Geschichte dieser Familien und etwas verlängert auch die Geschichte des ganzen Dorfes, in der sich die tonangebenden Personen der Dorfgemeinschaft pro ETA positionieren und das Dorf einem Gruppenzwang unterworfen wird. Wer nicht mitmacht, wird beobachtet, aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, diffamiert, schikaniert, geschlagen, ermordet.

Der Autor taucht in den Schlusskapiteln im Roman auf und sagt: „Es gibt Bücher, die wachsen im Laufe der Jahre in einem heran und warten auf den richtigen Moment, um geschrieben zu werden. …Und so begann ich, gegen das Leid zu schreiben, das Menschen von anderen Menschen zugefügt wird, wobei mir daran lag, aufzuzeigen, worin dieses Leid besteht und natürlich, wer es verursacht und welche physischen und psychischen Folgen es für die überlebenden Opfer hat.“

Gut. Doch sollte der Zweck eines Buches aus dem Buch selbst heraus ersichtlich sein.

Ich muss zugeben, dass ich nicht viel Spaß/Freude an dem Buch hatte. Das lag zum Teil am Stil/Schreibweise. Der Autor konnte sich wohl nicht festlegen, welche Worte/Formulierungen er verwenden wollte. Über 750 Seiten/Blätter hinweg, arbeitet er mit der aufgezeigten Querstrichtechnik der Doppelung. Dabei sind die gleichwertig und gleichzeitig verwandten Begriffe nicht etwa so brillant, dass man nicht jeweils auf einen davon hätte verzichten können. Diese Besonderheit des Romans führt nur zu unnötigen Längen.

Tempi und Erzählperspektive wechseln unaufhörlich, mehrmals innerhalb eines Absatzes, manchmal auch mehrmals innerhalb eines einzigen Satzes. Dies ist hinnehmbar als künstlerische Freiheit, hat den Roman literarisch aber nicht weitergebracht. Literarisch hat der Roman auf ganzer Länge nichts Besonderes zu bieten, kommt aber wenigstens ohne jede Phrase daher.

Positiv ist die Gesamtkomposition. Viele Stimmen tragen vor, im Ganzen neun, falls ich richtig gezählt habe. In losem Zusammenhang, unchronologisch, werden die Teile einer Geschichte erzählt. Wenngleich die inneren Beweggründe der Personen mehr erraten werden müssen, als sie erklärt werden, kommt doch eine jede der Figuren hinreichend zum Vorschein, damit sie dann doch wenigstens eingermaßen verstanden werden kann. Dialoge führen durch den Roman, Schilderungen sind rar. Anhand von (selten erwähnten) historischen Begebenheiten muss man sich orientieren, eine konkrete Zeitangabe taucht im Roman nicht auf.

Die Personen, deren Verhalten für mich oft nicht einleuchtend oder nachzuvollziehen ist, durchlaufen ihre Lebenszeit. Spannend könnte sein, dass der Leser nicht genau weiß, worauf der Roman hinauslaufen soll oder auch wohin die Personen sich innerlich hinwenden werden. Lange Zeit bleibt alles statisch. Das macht den Roman für mich eintönig und langweilig. Erst auf den letzten zweihundert Seiten kommt etwas Bewegung in den Roman und es wird eine Spur Versöhnung und Läuterung sichtbar.

Sind die Figuren nun hölzern, wie ich sie empfunden habe oder haben sie ihre eigene, schwer zu fassende Tiefgründigkeit und Dynamik? Sie sind glaubwürdig, lebendig, aber statisch, und haben hinreichend Hintergrund, konnten mich aber dennoch erst ganz zum Schluss ein wenig berühren. Mich auf ihren ganzen Lebensweg emotional mitzunehmen, haben sie nicht vermocht. Auf weite Strecken hinweg haben sie mich nur gelangweilt.

Fazit: Literarisch hat „Patria“ wenig zu bieten. Dem Roman fehlt es an Intensität. Auch an Tiefgründigkeit, wenn man so will und an historischer Einbindung allemal. Erklärungen, Betrachtungen: Fehlanzeige. Doch der Thematik wegen ist der Roman dennoch  zumindest regional wichtig gewesen und hat andere Leser ja durchaus zu ergreifen gewußt.

Kategorie: Gute Unterhaltung
Verlag: Rowohlt, 2018

Kommentare

Emswashed kommentierte am 05. Mai 2018 um 21:09

Vielleicht sind wir vom Geschehen einfach zu weit entfernt gewesen, um zu verstehen.

wandagreen kommentierte am 05. Mai 2018 um 21:11

Nein.