Rezension

Faszinierend, erschütternd und unglaublich eindrucksvoll.

Firekeeper's Daughter
von Angeline Boulley

Ein Roman, der unter die Haut geht!

Tauchen wir ein in eines der zweifellos besten und aufregendsten YA-Highlights dieses Jahres. „Firekeeper’s Daughter“ ist das beeindruckende Debut von Angeline Boulley und spielt in Sault Ste. Marie, auf der oberen Halbinsel von Michigan, inmitten der indianischen Ojibwe-Gemeinschaft. Es erzählt die Geschichte der 18-jährigen Daunis Fontaine.
Ihre Welt teil sich in zwei Teile. Die weiße, gutbürgerliche Familie ihrer Mutter und die Ojibwe-Seite ihres Vaters.  Sie ist das Kind eines Skandals und obwohl Daunis eine tiefe Verbundenheit mit ihrem indianischen Erbe hat, gehört sie dennoch nicht zum Stamm. Sie ist auffallend blass, fühlt sich von keiner Gemeinschaft wirklich akzeptiert, eine Außenseiterin, die kürzlich ihren Traum von einer vielversprechenden Sportkarriere verloren hat. Zuletzt zwingen sie schwere Schicksalsschläge in ihrer Familie dazu, ihre Pläne für das College zu ändern. Statt an der University of Michigan zu studieren, entschließt sie sich zu bleiben. Bei ihrer Mutter. Ihrem Eishockey-Star-Halbbruder Levi. Und ihrer besten Freundin Lily. Mit ihren Liebsten um sich, erschafft Daunis sich ein neues Normal.

Eine aufregende Ergänzung in diesem neuen Normal ist auch der neue, attraktive Spieler Jamie, der das Eishockeyteam ihres Bruders verstärken soll. Er ist mysteriös mit seiner sonderbaren Narbe und noch dazu gefährlich charismatisch, aber er ist auch verschlossen und scheint voller Geheimnisse zu stecken. Aber wie das mit Geheimnissen so ist, finden sie immer einen Weg hervorzubrechen und als ein weiterer fataler Schlag Daunis Leben erschüttert, muss sie von Grund auf überdenken, wem sie überhaupt noch trauen kann.

Die ersten Kapitel lassen den Leser in Daunis Leben und Geschichte eintauchen, in ihre enge Beziehung zu ihrem über-beschützenden Bruder und dem Rest ihrer indigenen Familie, einschließlich ihrer knallharten Tante Teddie. Man liest über die historischen Gräueltaten und den Rassismus, die die schmerzhafte Geschichte der Stämme geprägt haben, und erhält einen Einblick in die Kultur, die Strukturen, die zeitgenössische Politik, die traditionelle Medizin, die Rituale, die Zeremonien, die Stammesältesten und die alltäglichen Interaktionen in der Gemeinschaft und in der Familie.

Während diese Aspekte im Laufe der Handlung mehr Substanz bekommen und facettenreicher ausgestaltet werden, entwickelt sich auch der Hauptplot in eine fesselnde Richtung, überrascht mit spannenden Wendungen und gut durchdachten Szenen. Ich habe einige Kapitel gebraucht, um mich wirklich in der Geschichte einzufinden, aber nachdem dieser Punkt erreicht war, war es sehr schwer das Buch aus der Hand zu legen. Der Schreibstil ist sehr bildlich und führt einen in einem guten Tempo durch die Handlung. Auch ist mir sehr positiv aufgefallen, wie geschickt die Autorin rhetorische bzw. sprachliche Stilmittel eingebaut hat. Man kann sehr schnell herauslesen, dass Boulley ihr Handwerk versteht. Es gibt viele gute Schreiber da draußen, aber es ist immer wieder schön, ein Buch in die Hände zu bekommen, dass sprachlich etwas raffinierter ist.
Die konsequente Einbeziehung der Anishinaabe-Sprache war (nach einer gewissen Eingewöhnungszeit) auch eine wirkliche Bereicherung, wobei eingangs ein Hinweis auf das Glossar schon hilfreich gewesen wäre.

Daunis ist als Protagonistin sehr spannend. Sie ist wirklich stark und für ihr doch sehr junges Alter wirklich Widerstandsfähig, bedenkt man alles, was sie in kurzer Zeit durchmachen muss. Auch ihr Verständnis von Eigenliebe und Selbstwert ist etwas, was ich mir für mehr Protagonistinnen wünschen würde, die gerade jungen Leser*innen zum Vorbild werden können.
Interessanterweise ist Daunis Trauma bzw. ihre Traumata aber eher ein Sub-Plot der Geschichte, daher fühlt es sich teilweise unausgewogen an, wie schnell sie gewisse Dinge beiseiteschiebt und weiteragiert, als hätte sie nicht gerade erlebt, was sie erlebt hat. Es ist schwierig, weil das Buch vorrangig eine Kriminalgeschichte erzählt, die entsprechend Raum einnimmt und da bleibt nur begrenzt Raum, um bei schwierigen Themen in die Tiefe zu gehen. Boulley spricht wichtige und essentielle Probleme an, wie die anhaltende Gewalt gegen indigene Frauen und auch die Art und Weise wie das Justizsystem sie übersieht und abwertet, aber es ist und bleibt eine Gratwanderung. Ich finde sie hat hier einen guten Weg gefunden, auf diese Dinge aufmerksam zu machen, aber ich bin sicher, dass es genug Leser*innen geben wird, die anders empfinden und denen dieses an-der-Oberfläche-kratzen weniger gefallen wird.

Wichtig zu erwähnen ist, dass dieses Buch keine Triggerwarnung beinhaltet. Es behandelt Themen wie Verlust, Tod, Gewalt (insb. sexuelle Gewalt) und Substanzmissbrauch. Da manche Leser auf solche Themen sensibel reagieren können, wäre es nur verantwortungsvoll und angemessen darauf hinzuweisen, bevor diese von der Handlung überrumpelt werden.

„Firekeeper’s Daughter“ hat bei mir irgendwie einen Nerv getroffen. Ich bin so froh, dass ich die Gelegenheit hatte in diese Geschichte, diese Kultur mitsamt ihrer Traditionen, Sprache, Geschichte und Weisheit einzutauchen. Die starken und vielschichtigen Charaktere waren die grundlegende Stärke dieses Romans. Die intensiven Hintergrundgeschichten, die tiefgehende Darstellung der Community, insbesondere des Stammesrats ermöglichen einen beispiellosen Einblick in eine wunderschöne Kultur, die ich bisher nie auf so einer Ebene kennenlernen durfte. Die Lebendigkeit und Widerstandsfähigkeit der in diesem Buch dargestellten Gemeinschaft hat mich sehr berührt und ich habe große Hochachtung davor, wie viele Aspekte die Autorin in dieser Geschichte untergebracht hat.

Ich glaube nicht, dass dieses Buch ausnahmslos für jeden geeignet ist, weil es für einen vielleicht zu viele Handlungsstränge hat, einem anderen könnte die emotionale Aufarbeitung nicht zusagen oder wieder einem sind die Beziehungen zu verworren. Trotzdem kann ich aber nur jedem nahelegen, es zumindest zu versuchen. Für mich war „Firekeeper’s Daughter“ aber einer der besten Jugendromane den ich seit langem gelesen habe.