Rezension

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Faszinierend genial und abstoßend zugleich

Schlafes Bruder - Robert Schneider

Schlafes Bruder
von Robert Schneider

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses kleine Buch ist ein Meisterwerk! Punkt. Bleibt nur die Frage, warum es so lange an mir vorbeigegangen ist???

Inhalt :
In einem kleinen vokalbergischen Dorf wird Anfang des 19. Jahrhunderts der Bub Johannes Elias Alder geboren. Dies wäre an sich höchstens mal den Eintrag ins Familien- und Kirchbuch wert, wenn nicht ... wenn nicht der Johannes Elias Alder das größte musikalische Genie, ausgestattet mit einem übermenschlichen Gehör, gewesen wäre. Deswegen, genau deswegen musste seine Geschichte aufgeschrieben werden. Diese ist zugegeben auch nicht besonders lang, denn er starb im Alter von nur 22 Jahren durch Suizid. Die Gründe dafür? Vielfältig ...
Meinung :
Nach einer kurzen Leseeingewöhnung von etwa 1-2 Seiten war ich drin: drin in der Geschichte, drin im Erzählstil, drin in Elend, Dreck, Armut, Inzest, Halsstarrigkeit, Bosheit und Ignoranz. Der Autor vermag es - besonders auch durch seine altertümliche und dialektbehaftete Sprache -, den Leser sofort in jene Zeit, in jenes Dorf, in jene Gegend hineinzukatapultieren. 
Die Menschen dort mussten sich jedes bisschen Nahrung, jedes bisschen Wohnung und jedes bisschen Wärme von der Natur abtrotzen. Im Prinzip ist das gesamte Dorf eine Gemeinschaft aus inzestuösen Beziehungen; so gibt es nur zwei Nachnamen dort: die Alder und die Lamparter. Geprägt ist das Zwischenmenschliche von Neid, Gier, Gewalt und einer gewissen Lieblosigkeit. Allgegenwärtig ist ein naiver Glaube an einen strafenden Gott, der die Menschen eher in die Hölle als zu sich in den Himmel wünscht. Und in diese quasi gottverdammte Umgebung wird nun Johannes Elias Alder geboren: hochbegabt, ganz anders als die Dorfbewohner, sensibel, jedoch auch zu Wahnhaftigkeit und Ignoranz neigend. Schon von Beginn an ist klar, dass sein Leben kein glückliches sein wird. Sein Genie wird völlig verkannt, er entbrennt in wahnhafter Liebe zu seiner Cousine Elsbeth und leidet unter extremen Stimmungsschwankungen.
Der Leser ist einerseits immer ganz dicht dran am Geschehen, an den Figuren, andererseits entsteht durch die häufigen Erzählerkommentare aber auch eine gewisse Distanz. Diese Dynamik empfand ich als sehr belebend! Auch die permanent über allem schwebende Düsterkeit und Verdammnis trug in meinen Augen sehr zu einer entsprechenden Stimmung bei. 
Hätte Johannes Elias Alder anders leben können? Hätte es für ihn Hoffnung gegeben, wenn...? Ja, wenn was? Dies sind nur ein paar Fragen, die einem während des Lesens kommen. Kommunikationsfähigkeit unter den Menschen wäre sicherlich auch nicht verkehrt gewesen. 
Doch Johannes Elias verkümmert. An Leib und Seele. Vor allem an der Seele. Denn er verrennt sich in die (eingebildete?) Liebe zu seiner Cousine Elsbeth, von der er glaubt, dass sie die einzige ist, mit der sein Herz im Gleichtakt schlägt.
Überhaupt thematisiert das Buch viele menschliche Abgründe: Gewalt, Elend, Dummheit, Grausamkeit, Ignoranz, Gier, Missgunst, unerfüllte Liebe, Mord ... Und all dem gegenüber steht Elias, das Wunder, das Genie, das unerhört und unerkannt zugrunde geht.
Fazit:
Für mich ganz zurecht ein must-read! Die Geschichte ist düster und dreckig, sie mag einen durchaus mit hinabzuziehen in die Abgründe. Aber sie ist auch gewaltig! 
Das Buch ist übrigens auch genial verfilmt worden, obwohl der Film eher die Liebesdramatik in den Blick nimmt.
5 von 5 Sternen

Kommentare

wandagreen kommentierte am 15. August 2019 um 20:55

! Geniale Rezension.

lesesafari kommentierte am 15. August 2019 um 21:25

ich bin da so begeistert eingestiegen und kam mit kakophonie raus. gut wars. ich erwartete aber noch viel mehr. irgendwie schafftes jeder so ultrabegeistert darüber zu kommunizieren. ich glaube, ich bewertete es mut 2-.