Rezension

Faszinierend und gewährt unbekannte Einblicke

Die Menschheit hat den Verstand verloren - Astrid Lindgren

Die Menschheit hat den Verstand verloren
von Astrid Lindgren

Bewertet mit 5 Sternen

In meiner Familie wurde schon immer viel gelesen. Natürlich durften auch die Bücher Astrid Lindgrens nicht in der Sammlung fehlen und so wurden ihre Bücher meine ersten Ausflüge ins Lesereich. Ich habe Pippi Langstrumpf für ihren Mut bewundert, habe Tomte Tummetott geliebt und bin mit den Kindern aus Bullerbü durch die schwedische Landschaft getobt. Jetzt beschäftige ich mich als Erwachsene mit Astrid Lindgren und einer eher unbekannten Seite der Autorin.

Astrid Lindgrens Kriegstagebücher befassen sich, wie der Name schon sagt, allein mit der Zeit des 2. Weltkrieges. Ihre Einträge starten am 01. September 1939. Zu dieser Zeit ist Lindgren noch lange keine bekannte Schriftstellerin. Die Einträge zeigen aber das Bedürfnis ihre Gedanken über den Krieg festzuhalten. So sind manche Einträge kurz gehalten und wirken wie zwischen Tür und Angel geschrieben. Viele beschäftigen sich aber sehr ausführlich mit dem Thema und im Verlauf der Tagebücher findet Lindgren immer wieder sehr deutliche Worte den Krieg und die Zustände.
Es sind sehr faszinierende Einträge, ich zumindest empfinde es so. Es beginnt mit der Ungläubigkeit über den Einmarsch der Deutschen in Polen und den ersten Überlegungen zu den Auswirkungen. Wie wird sich Europa verändern? Welche Auswirkungen wird diese Kriegserklärung auf Schweden haben? Im Verlauf des Krieges befassen sich viele ihrer Einträge mit diesen Gedanken. Ängst und Sorgen werden deutlich, wechseln sich ab mit ruhigen privaten Momenten, in denen man sich über einen geselligen Abend mit Freunden oder den Einzug des Frühlings freut. Dabei ist Lindgren aber immer bewusst, welche Vorteile die Neutralität Schwedens ihr und ihren Landsleuten verschafft. Obwohl auch in Schweden Lebensmittel rationiert werden, schreibt sie immer wieder davon, dass es ihnen vergleichsweise gut gehe und ihre Familie nicht hungern muss. Verglichen mit anderen mit bekannten Beschreibungen dieser Zeit kann die Familie Lindgren Weihnachten noch recht opulent feiern. Dabei möchte ich keinesfalls die Angst absprechen, die auch die Familie Lindgren zweifelsohne gehabt haben muss!
Es ist aber dieser Wechsel aus Lindgrens Gedanken zum Krieg und ihren privaten Einblicken in das Familienleben, die einen so nachhaltigen Blick auf die Autorin gewähren.

Zusätzlich zu ihren Einträgen hat Astrid Lindgren viele Zeitungsausschnitte aus der Tagespresse eingeklebt. Diese sind als Faksimiles abgedruckt und anschließend auch übersetzt. Dabei sind die Artikel sehr vielfältig. Fahrverbote für Autos, politische Artikel zur Kriegssituation aber auch ihre erste Buchrezension sind darunter, genauso wie Artikel zu Reden von Churchill und Hitler. Diese Artkel empfand ich teilweise als sehr trocken und umständlich zu lesen, sie sind ein starker Kontrast zu Lindgrens persönlichem Stil.

Der Aufbau des Buches ist für jedes Jahr gleich: handschriftlicher Tagebucheintrag - Abdruck der Famsimiles - Übersetzung der Faksimiles. Im Nachwort ist vermerkt, dass der Aufbau der schwedischen Ausgabe genauso erfolgt ist. Mich hat es manchmal allerdings gestört, dass die Abdrucke nicht direkt an der erwähnten Stelle nachgeschoben wurden. Zwar sind am Rand die jeweiligen Seitenzahlen vermerkt, das Umblättern um die jeweiligen Stelle wiederzufinden, empfand ich als ein etwas umständlich und es hat mich in meinem Lesefluss gebremst.

Nichtsdestotrotz: Das Buch ist großartig und eines von sehr vielen Teilen im großen Gesamtbild der Kriegserinnerungen.
"Die Menschheit hat den Verstand verloren" - so ein aussagekräftiger Satz, kurz und doch so viel sagend; immer wieder aktuell und auf so vielen Gebieten anwendbar.