Rezension

Faszinierende Geschichte mit unbequemen Charakteren

Heiße Milch - Deborah Levy

Heiße Milch
von Deborah Levy

Bewertet mit 4 Sternen

Das ist mir schon lange nicht mehr passiert: Nachdem ich das erste Stück von diesem Buch gelesen habe, dachte ich schon, dass das etwas werden könnte, das ich gar nicht mag. Sofias Mutter Rose konnte ich buchstäblich vom ersten Satz an nicht leiden und Sofia selbst hat ebenfalls das Potential den Leser kräftig aufzuregen. Das Klagen über ihr verkorkstes Leben, die unterschwelligen Vorwürfe an die Mutter, das schrecklich Passive. Ich hätte sie gerne gezwungen mal auf den Tisch zu hauen, ihre Meinung zu sagen, etwas zu ändern. Interessanterweise habe ich dann aber immer besser in die Geschichte hinein gefunden und letztlich hat es ir sehr gut gefallen!

Nicht, dass sich an Sofias Zurückhaltung oder meiner Abneigung gegen Rose etwas geändert hätte. Ich habe mich wohl einfach an die Brachialität gewöhnt, mit der Deborah Levy mir die schlechten Seiten ihrer Charaktere hingehauen hat. Wunderbar war dann, wie Sofia sich ganz langsam, Millimeter für Millimeter entwickelt. Es passt zu ihr. Es wirkt nicht übertrieben und sie behält ihren grüblerischen, unsicheren Charakter bei, aber es tut sich was:

„... Zum Beispiel könnten Sie mal auf dem Markt einen Fisch stehlen, damit Sie ein bisschen kühner werden. Es muss ja nicht der größte Fisch sein. Aber auch nicht der kleinste.“
„Warum sollte ich kühner werden?“
„Das müssen Sie sich selber beantworten.“
S. 82

Gut fand ich auch, dass jeder der Nebencharaktere ein bisschen rätselhaft bleibt. Eigentlich hätte man über jeden – angefangen bei Pablo und seinem Hund bis zu Schwester Julieta und dem undurchsichtigen Dr Gomez – noch ein eigenes Buch schreiben können. Vieles wird angedeutet, aber nicht weiterverfolgt. Immer wieder kommen wir zurück zu Sofia und Rose. Und um die geht es schließlich auch.

Zwar hat mich die Geschichte auch hin und wieder verwirrt zurück gelassen und es war schwer erträglich, dass hier niemand einfach mal „Tacheles“ redet. Aber insgesamt hat mir "Heiße Milch" – kann mir übrigens jemand den Titel erklären? - sehr gut gefallen. Ich war fasziniert von den Medusen und dem bitteren Humor. Die Sprache passte perfekt zum spanischen Sommer und zu Sofias grüblerischem Charakter. Obwohl Deborah Levy vieles nur andeutet, sind ihre Figuren sehr präzise beschrieben. Einiges steckt zwischen den Zeilen und das sorgt dafür, dass die Geschichte im Kopf bleibt. Von mir gibt’s eine Leseempfehlung!