Rezension

Feinsinnige Gesellschaftskritik

All die unbewohnten Zimmer - Friedrich Ani

All die unbewohnten Zimmer
von Friedrich Ani

Bewertet mit 4 Sternen

Die Basis für den neuen Roman von Friedrich Ani bilden zwei Kriminalfälle. Ein recht schnell gelöster Fall beschäftigt sich mit einer Frau, die erschossen wurde und einem angeschossenen, nun schwer verletzten Polizisten. Ein zweiter, zunächst völlig unklarer Fall zu einem erschlagenen Polizisten lässt die Ermittler des K112 lange im Trüben fischen. Erst mit der Übergabe der Ermittlungen an das K111 lichtet sich langsam der Nebel. Obwohl der leicht gelöste Fall bald keine vordergründige Rolle mehr spielt, so ist er doch Stressor für den zweiten komplizierteren Fall, da es in beiden polizeiliche Opfer zu beklagen gibt.

Insbesondere im komplexeren Fall ermitteln die vier, recht speziellen, mir allerdings noch unbekannten, Ani-Charaktere Polonius Fischer, ehemals Mönch jetzt Leiter des K111, Jakob Franck, ehemaliger Leiter des K112, der trotz Pensionierung immer noch den Angehörigen der Opfer die schlimmste Nachricht überbringt, Fariza Nasri, Ermittlerin mit syrischen Wurzeln und einem schweren Rucksack zur Vergangenheitsbewältigung, und schließlich Tabor Süden, ehemaliger Polizist, der jetzt als Privatdetektiv vermisste Personen ausfindig macht. Sie nähern sich dem Fall aus unterschiedlicher Motivation heraus. Ohne das Bewusstsein, an derselben Sache dran zu sein, kreuzen sich bald ihre Wege.

Abwechselnd werden dafür den Ermittlern Kapitel gewidmet, die die Ereignisse aus ihren jeweiligen Perspektiven darstellen. Dabei sind Farizas Kapitel in der ersten Person gehalten, die anderen werden in der dritten Person erzählt. Das Umfeld der Vier tut sich für den Ani-Neuling recht umfangreich auf, zugegebenermaßen hat es ein Weilchen gedauert, bis ich alle richtig zusammenhalten konnte. Durch die verschiedenen Blickwinkel verliert der Kriminalroman an Rasanz, wird regelrecht ausgebremst und wirkt dadurch auch weniger spannend. 

Trotzdem ist die Lektüre lohnenswert. Der Detailreichtum in der Beschreibung der Beziehungsgeflechte der Polizisten untereinander sowie zwischen Polizei und diverser Bevölkerungsgruppen ist bemerkenswert. Die intensiven Gespräche mit potenziellen Zeugen fand ich sehr ansprechend. So zeichnet Ani scheinbar nebenbei einen aktuellen Querschnitt durch unsere Gesellschaft. Er berichtet beispielsweise von fehlendem Vertrauen in die Polizeiarbeit, von rechtem Gedankengut in allen sozialen Schichten und von der Hoffnungslosigkeit gescheiterter Existenzen. Für mich stellt er zudem die positive Integration einer syrischen Familie der gescheiterten  nachhaltigen Integration eines Ostdeutschen in der Bundesrepublik gegenüber ohne dies zu verallgemeinern.

Fazit: Aus meiner Sicht ist dieser Kriminalroman mehr feinsinnige Gesellschaftskritik als spannende Verfolgungsjagd. Je nach Empfänglichkeit des Lesers können unterschiedliche Kritikpunkte mehr oder weniger deutlich wahrgenommen werden. Wenn man allerdings - wie ich - sehr stark seine Gedanken zum Roman fließen lässt, hat man am Ende etwas Mühe den Blick auf den roten Faden nicht zu verlieren. Für mich trotzdem ein Vergnügen.