Rezension

Feldpostbriefe eines Auskenners

Liebe Mama, ich lebe noch! - Ernst Gelegs

Liebe Mama, ich lebe noch!
von Ernst Gelegs

Bewertet mit 4 Sternen

„...Für ihn galt die Devise: je höher der Dienstgrad, desto leichter der Alltag als Soldat und desto wahrscheinlicher ein Überleben im Krieg...“

 

Die Mutter des Autors hat geerbt. Beim Sortieren des Nachlasses von Tante Hansi stößt der Sohn auf eine Kiste mit Briefen. Es handelt sich um die Briefe von Leonhard Wohlschläger, dem Bruder von Tante Hansi. Er hat sie von der Front des zweiten Weltkriegs an Mutter und Schwester geschrieben.

Leonhard Wohlschläger war der Sohn von Jakob Wohlschläger, einem bekannten Wiener Architekt und Stadtpolitiker. Das Buch beginnt demzufolge mit der Beschreibung des Lebens von Jakob Wohlschläger, seinem Aufstieg in die höheren Schichten der Gesellschaft und seinen Abstieg nach dem Konkurs.

Leonhard ist ein Sohn aus erster Ehe. Während Johanna, Tante Hansi, ehrgeizig und pflichtbewusst ist, lebt Leonhard von Gelegenheitsjobs. Allerdings hat er die Gabe, Menschen zu beeindrucken. Dadurch kann er sich bei Bedarf Geld leihen.

Den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich begrüßt er.

1940 heiratet er Edith und geht einen Tag nach der Hochzeit an die Front. Seine Briefe habe ich teils mit Verwunderung, teils mit Kopfschütteln gelesen. Leonhard weiß immer, wie er mit den Rücken an die Wand kommt. Einerseits vertröstet er diejenigen, bei denen er Schulden hat, auf die Zeit nach dem Krieg, andererseits nutzt er seine Rolle als Fahrer an der Westfront, um seine Mutter und seine Frau mit Waren zu versorgen. Mitgefühl für die Bewohner der besetzten Länder kennt er nicht.

Seine Briefe lesen sich, als wäre der Krieg ein Spiel. Selbst nach seinem Wechsel an die Ostfront bleibt er meist im Hinterland und kann sich über mangelnde Ernährung nicht beklagen.

Betroffen macht das Buch an den Stellen, wo zwischen den Briefen die Kommentare des Autors eingeflochten werden. Er schildert nicht nur den Kriegsverlauf. Auch die zunehmenden Repräsentalien gegen Juden in Wien, die aufkommende Verschlechterung der Ernährungslage und die wichtigsten Schlachten werden von ihm thematisiert. Allerdings vermisse ich hier an vielen Stellen eine Quellenangabe.

Dadurch erscheinen Teile der Briefe von Leonhard noch makaberer. Hinzu kommt, dass in den Briefen aus dem Osten die Folgen der Nazipropaganda zunehmend greifbar werden. Der Ton wird

brutaler. Das Leben der sogenannten Feinde verliert an Wert. Es geht allein im das eigene Wohlergehen. Der einheimischen Bevölkerung nimmt man das letzte. Ein Ausschnitt aus dem Brief klingt so:

 

„..Hier ist es sicher keine Sünde, alles hinzumorden und abzubrennen, dem Teufel ist dieses Land schon zu schlecht...“

 

Hinzu kommt, dass Leonhard erstaunlich oft Urlaub von der Front erhält. Natürlich wiederholt sich in den Briefen vieles. Während in Stalingrad gehungert und gestorben wird, schickt Leonhard aus dem Hinterland einen Schinken an seine Mutter.

Nach dem Tode der Mutter gibt es keine Briefe mehr. Auch Leonhards Leben in Friedenszeiten wird mit nur zwei Sätzen skizziert.

Das Buch gibt einen guten Einblick in das Leben des Leonhard Wohlschläger. Der Autor vergleicht an einer Stelle Leonhard mit dem braven Soldaten Schwejk. Diesen Vergleich kann ich nicht nachvollziehen.