Rezension

Fesselnde Mischung aus Fiktion und Realität

Haarmann - Dirk Kurbjuweit

Haarmann
von Dirk Kurbjuweit

Hannover zu Beginn der 1920er Jahre, in einer Zeit politischen Umschwungs und großer wirtschaftlicher Not: Schauplatz brutaler Morde an Knaben und sehr jungen Männern. Mehrere Jahre lang konnte Fritz Haarmann relativ ungestört seine Verbrechen an Jungen begehen, die auf der Durchreise in Hannover Station machten. Wie war das möglich?

Der Journalist und Buchautor Dirk Kurbjuweit versucht diese Frage in seinem „true crime“-Roman zu beantworten. Der historische Hintergrund, sehr eindrücklich vom Autor geschildert, beleuchtet bereits einen Teil der Probleme, politische wie auch gesellschaftliche: es gibt aufgrund des Versailler Vertrages nach dem verlorenen Krieg zu wenig Personal bei der Polizei, die noch junge Republik ist noch lange nicht etabliert, sondern  -  im Gegenteil  -  wird von anderen Parteien unter Druck gesetzt, für die Menschen stehen das tägliche Brot und das Bedürfnis nach Sicherheit an erster Stelle. Kurbjuweit stellt die langwierige, oft frustrierende Ermittlungsarbeit Robert Lahnsteins in den Mittelpunkt, der mit der Vorgabe ins Kommissariat Hannover geholt worden ist, die Mordserie endlich aufzuklären. Erschwert wird seine Arbeit nicht nur durch Anfeindungen aus dem „Milieu“ und der Presse, sondern auch durch Vorurteile und Neid einiger Kollegen. Im Wechsel mit Lahnsteins Suche nach dem „Werwolf“ erfahren wir private Erlebnisse aus seiner Vergangenheit, die ihn geprägt und zu einem Verfechter der Demokratie gemacht haben. Obwohl der Autor hauptsächlich aus Lahnsteins Sicht erzählt, bettet er ebenso Passagen ein, die Haarmanns Perspektive und auch die eines seiner Opfer wiedergeben. Wie es schließlich doch gelingt, Haarmann zu überführen und zu verurteilen, schildert Kurbjuweit auf fesselnde Weise in einer gelungenen Mischung aus Fiktion und Realität. Eine wesentliche Frage allerdings bleibt am Schluss offen und dem Leser überlassen: Welche Mittel sind in einem Rechtsstaat erlaubt, um das Geständnis eines Täters zu erhalten?