Rezension

Fingernägel knabbern ist angesagt

Narbenkind
von Erik A. Sund

Bewertet mit 4.5 Sternen

Jeanette Kihlbergs Ermittlungen in einer Mordserie stocken, bis der Horror weitergeht und ein Geschäftsmann auf brutale Weise regelrecht abgeschlachtet wird. Ein Täterprofil muss her. Zum Glück kennt Jeanette Kihlberg die Psychologin Sofia Zetterlund, deren Hilfe, die im Dunklen tappende Polizisten, in Anspruch nimmt. Immer wieder taucht der Name Victoria Bergmann auf. Doch die Frau scheint, wie vom Erdboden verschluckt. Und in Sofia Zetterlund gären Dinge, die die Normalität schwedischer Ikea Gemütlichkeit sprengen und ins Herz des Grauens führen.

„Narbenkind“ spielt sich, wenn man mal von dem üblichen Krimigedöns absieht, auf zwei Ebenen ab. Da geht es zunächst, um Kindesmissbrauch, der in aller Brutalität und Realitätsnah geschildert wird. Täter, die ihren Nachwuchs zu Gebrauchsgegenstanden erklären und nach Lust und Laune schlagen, vergewaltigen und ausnutzen. Ihre Ehefrauen wirken, wie reine Staffage, tragen aber durch wegsehen maßgeblich Schuld an den Ereignissen, die sie nach Jahrzehnten mit aller Härte wieder einholen.

Die zweite Erzählebene bildet ein psychologisches Verwirrspiel der Sonderklasse. Die seelische Zersplitterung der Opfer, lässt nur die Flucht in multiple Persönlichkeitsstrukturen zu, eine Schutzburg, in der das Opfer zum Täter mutiert. Oder kommt der Mörder aus einer ganz anderen Ecke der Vergangenheit? Im Grunde ist das erst ganz am Ende des Buches zu durchschauen. In der Romanform habe ich persönlich noch nichts Ähnliches zu dem Thema gelesen. Manchmal gibt es Filme zu dem Thema, aber nie mit dieser brachialen Intensität, die von einer waghalsigen Konstruktion getragen wird, von der wir wohl erst nach dem dritten Teil wissen, ob sie wirklich trägt. „Narbenkind“ ist äußerst vielschichtig angelegt. Selbst die ermittelnde Kriminalbeamtin macht eine interessante Entwicklung durch, die ich phasenweise allerdings zu dick aufgetragen empfand. Ansonsten ein richtig guter Thriller.