Rezension

Fleisch und Blut

Breed, deutsche Ausgabe - Chase Novak

Breed, deutsche Ausgabe
von Chase Novak

Bewertet mit 4 Sternen

Scott Spencer schreibt unter dem Pseudonym CHASE NOVAK mit BREED eine Geschichte, die zunächst wie aus dem Leben gegriffen scheint und dennoch in einem bitterbösen Albtraum, um nicht zu sagen im blanken Horror endet. Viele Paare wünschen sich ein Kind und sind doch nicht befähigt, auf natürlichem Wege Nachwuchs zu zeugen. So ergeht es auch Alex Twisden und Leslie Kramer aus Manhattan, New York. Beruflich erfolgreich, finanziell abgesichert und in inniger Liebe vereint, fehlt ihnen etwas ganz Entscheidendes zum vollkommenen Glück. Seit nunmehr drei Jahren hält das Paar an seinem großen Traum fest, in naher Zukunft doch noch der medizinischen Hölle der Unfruchtbarkeit zu entkommen. Mehr noch als Leslie, ist Alex von dem Gedanken beherrscht, einen leiblichen Stammhalter, Erbe einer traditionsreichen Familie, zur Welt zu bringen. Adoption hält er für ausgeschlossen. Gemeinsam besuchen der Anwalt und die Lektorin zweimal wöchentlich eine Selbsthilfegruppe für unfruchtbare Paare, um möglichst keine Information und keinen noch so kleinen Hinweis zu verpassen, ihrer verzweifelten Lage ein Ende zu bereiten. Sämtliche anerkannte Methoden wie zum Beispiel künstliche Befruchtung blieben bisher erfolglos und selbst Diäten, Akupunktur, Hypnose, Ayurveda, Homöopathie und Psychologie brachte die beiden ihrem Ziel keinen Deut näher. Der Druck ist groß, Sorge um ihre Ehe und ihr Seelenheil macht sich breit. Bis zu jenem Abend, als sie zufällig Jim und Jill Johnson im Park treffen. Das Ehepaar ist ihnen aus der Selbsthilfegruppe bekannt. Ganze elf Jahre mussten sie auf die, nun kaum übersehbare, Schwangerschaft warten. Alex und Leslie schöpfen neue Hoffnung! Jim erzählt, eine Alternative namens Fruchtbarkeitsverbesserung sei der Grund für ihr plötzliches Kinderglück. Keine Frage, besitzt das Paar Twisden / Kramer ausreichend finanzielle Rücklagen, jenen Erfolg versprechenden Dr. Slobodan Kiš in Ljubljana, Slowenien, aufzusuchen. Ein allerletzter Versuch … Das horrende Honorar und die Reise nach Osteuropa sind schnell organisiert. Obwohl die Praxis des Arztes einen wenig vertrauenerweckenden Eindruck macht, Dr. Kiš sogar regelrecht Furcht einflößend auftritt, ist seine Erfolgsquote umso vielversprechender. Das Wunder seiner Forschung besteht aus Injektionen mit endokrinem Material kraftvoller, fruchtbarer Lebewesen, die die Beweglichkeit der Spermien und die Empfänglichkeit der Eizellen erhöhen. In Arm, Hals und hinterm Ohr, erweisen sich die Spritzen als äußerst schmerzhaft. Ergänzt um hellrosa Flüssigkeiten in Glasröhrchen, ist die merkwürdige Prozedur für beide vollendet. Ihre Auswirkung ist regelrecht kurios. Nicht nur, dass Leslie tatsächlich in null Komma nichts schwanger wird, sind die Nebenwirkungen der Behandlung für beide besorgniserregend: Extremer Haarwuchs, besonders ausgeprägte Stimmungsschwankungen, Heißhungerattacken auf Fleisch und gesteigertes Lustempfinden, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Schwangerschaft endet überraschend nach fünf Monaten und drei Wochen mit der Geburt von Drillingen, wovon jedoch nur zwei Kinder ins Haus der Twisdens einkehren. Zehn Jahre später fragen sich die Zwillinge Adam und Alice, warum sie jede Nacht eingesperrt werden und was mit ihren Eltern nicht stimmt …

Nachdem sich CHASE NOVAK im ersten Teil der Erzählung den Figuren Alex Twisden und Leslie Kramer widmet, ihre Lebensumstände und ihre Veränderungen seit der Behandlung jenes verrückten Arztes beschreibt, rücken im zweiten Teil der Geschichte die Kinder in den Fokus. Während das Ahnenhaus der Familie zusehends verkommt, Besitztümer veräußert werden, Leslie gar nicht mehr und Alex kaum noch arbeitet und beide dem gesellschaftlichen Leben gänzlich entsagen, verläuft das Dasein der Zwillinge nach exakt einzuhaltenden Regeln. Ein konsequenter Plan, der täglich erst dann endet, wenn die Türen ihrer Zimmer hinter ihnen ins Schloss fallen. Verschlossene Türen und Fenster gibt es einige im mehrstöckigen Stadthaus. Familiengeheimnisse – manche von ihnen anormal, andere gar entsetzlich. Geräusche, Gerüche und unheimliche Dinge im Keller. Adam und Alice haben schreckliche Angst. Ihre Flucht scheint unumgänglich, doch ihre Eltern sind ihnen dicht auf den Fersen … CHASE NOVAK berichtet in dritter Person Singular aus wechselnden Perspektiven. Obwohl der Schreibstil recht distanziert und sachlich wirkt, bahnt sich das Grauen seinen Weg. Die Ereignisse fesseln die Aufmerksamkeit des Lesers. Zwischen Faszination und Ekel werden die laufende Handlung und die, anfangs fast nebensächlich eingefügten, Anomalien im Verhalten von Alex Twisden und Leslie Kramer wahrgenommen. Nach dem Zeitsprung von zehn Jahren ist die Unausweichlichkeit des Horrors unverkennbar. Neben Gesellschaftskritik rücken Aspekte von Kannibalismus in den Vordergrund. Die Kinder Twisden-Kramer werden zu Sympathieträgern, ihr Schicksal berührt. Die Spannung um ihr Wohlergehen und die folgende Entwicklung der Eltern wächst. Der weitere Verlauf des Geschehens ist stark konstruiert. Zu viele Zufälle greifen ineinander. Der Ausklang dieser Geschichte zwischen Wirklichkeit und Wahnsinn folgt in rasanten Zügen. Nicht alle Fragen werden abschließend geklärt, was wiederum der Wirkung der Erzählung guttut. So bleibt dem Leser ausreichend Spielraum für eigene Spekulationen und die Lektüre hallt in Gedanken noch etwas nach.

BREED erscheint in gebundener Form bei Hoffmann und Campe. Der schwarze Einband ist von einem Schutzumschlag umgeben, der mit einer soften Haptik überrascht und mit minimalistischen Farbakzenten ins Auge sticht. Neben Titel- und Autorenangaben in klaren, kantigen Großbuchstaben in Grau, ist es vor allem die Silhouette einer Schwangeren in blutrotem, glänzendem Spotlack, die für einen auffallenden Kontrast sorgt. Rückseiten und Innenklappen des Buches informieren über Inhalt und Autor. Zitate von Stephen King, Richard Price und USA Today verlocken den Leser, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Fazit:

CHASE NOVAK spielt in BREED, einer Kombination aus enervierendem Thriller und blutigem Horror, mit den Urängsten der Leserschaft vor den unberechenbaren Göttern in Weiß. Eine Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion weckt Grauen, Faszination und Abscheu. Nichts für schwache Gemüter, dennoch spannend und unterhaltsam.