Rezension

Flop: Mehr Drehbuch als Roman

Heute leben wir - Emmanuelle Pirotte

Heute leben wir
von Emmanuelle Pirotte

Bewertet mit 2 Sternen

Oje. Ich bin mit diesem Buch leider überhaupt nicht warm geworden. Ich habe zu Heute leben wir schon so viele positive Kommentare in Richtung „bewegend“, „herzerwärmend“ oder „spannend“ gelesen. Aber nein. Ich kann nichts, aber auch gar nichts davon unterschreiben.

Die Autorin schreibt eigentlich Drehbücher. Und das merkt man. Sehr. Dieses Spielfilmhafte hat mich gestört. Sehr. Es gibt stereotype Charaktere, die grob in Soldat und Zivilist und in Gut und Böse eingeteilt sind. Es gibt also den guten Soldaten und den bösen Soldaten sowie den guten Zivilisten und den bösen Zivilisten. - Übrigens habe ich noch in keinem Roman so oft das Wort „Zivilisten“ gelesen. Hauptcharakter Matthias ist eigentlich der einzige, der eine richtige Hintergrundgeschichte hat. Aber selbst die ist nicht ganz ausgegoren. Er ist ein Getriebener und ein Einzelgänger, aber warum weiß er selbst nicht. Es ist einfach so. Interessiert ja auch niemanden, wenn man einen Film daraus machen will. Alle Szenen aus seiner Vergangenheit wirken, als seinen sie nur dafür gedacht, auf Leinwand mit verwaschenen Rändern und Weichzeichner wiedergegeben zu werden. Füllmaterial für einen Film. Nicht für ein Leben.
Irgendwann war ich nur noch genervt von ihm. Der tolle Hecht der alles kann: Jagen und Fallen stellen. Kämpfen und Töten. Zig Fremdsprachen. Gut aussehen. Immer cool, smart und beherrscht in den kniffligsten Situationen. Die Frauen liegen ihm allesamt zu Füßen ohne, dass er auch nur den kleinen Finger krümmen muss. Irgh.

Die kleine Renee war an sich ein schöner Charakter. Das starke kleine Mädchen, das alle irgendwie fasziniert, aber ihnen auch Angst macht mit ihrer Härte und Abgeklärtheit. Die als Jüdin der Grund ständiger Angst ihrer Beschützer ist, aber noch gar nicht erfassen kann, was ein Jude eigentich ist. Zu Anfang hat sie ein Stoffpüppchen, das sie nie aus der Hand gelegt hat. Das hat die Autorin später wohl vergessen. Es tauchte auf jeden Fall ab etwa der Hälfte des Romans nicht mehr auf. Gerade ihre Familiengeschichte hätte ausführlicher aufgeklärt werden können, als in einem Nebensatz.

Zusätzlich haben mich noch einige stilistische Dinge gestört. Es war oft nicht klar, wer was denkt. Hört sich komisch an, aber die Autorin wechselte so oft ohne Absatz oder Kennzeichnung die Perspektive, dass ich mehrmals durcheinandergeraten bin. Auch der Ton war mir für ein Buch, das eine emotionale Geschichte verspricht, zu flapsig. Als eine junge Frau ihren „geschwollenen Busen“ an Matthias drückt hätte ich das Buch fast abgebrochen.

Inhaltlich war Heute leben wir ebenfalls nicht rund. Gerade schildert Pirotte, dass Matthias seit Beginn seiner Soldatentätigkeit den Wald vermisst hat und im nächsten Satz lenkt er seine Schritte aus dem Wald in ein Dorf. Wir hören, dass Jules Pferd sein ein und alles ist und nach nur einer Bitte von Matthias, den er erst seit wenigen Tagen kennt, will er es ihm überlassen. Warum? Egal. Matthias ist halt der Held.

Nach diesem ganzen Gemecker kann man sich fragen ob ich überhaupt etwas an diesem Buch mochte. Ja. Den Epilog. Der war gut. Und nicht nur, weil das Buch dann zu Ende war. Der klang tatsächlich nach Roman.

Für mich war Heute leben wir ein Flop. Wer sich generell für das Thema Zweiter Weltkrieg interessiert, der kann auf viele andere wirklich gute Bücher zurückgreifen. Die Mittagsfrau von Julia Franck zum Beispiel. Die Bücherdiebin, Der Junge im gestreiften Pyjama oder einfach Anne Franks Tagebuch. Aber dieses hier lieber nicht.

Kommentare

LySch kommentierte am 30. Juni 2017 um 00:31

Ohaaa! ^^ Da kann ich ja nur froh sein, dass ich mich damals gegen die Bewerbung zur Leserunde auf LB entschieden habe! :D Und dabei klingt es ja eigentlich echt vielversprechend...

Nichtsdestotrotz aber eine totaaal tolle Rezi!

katzenminze kommentierte am 01. Juli 2017 um 16:46

Ich weiß auch nicht, was da los war. Igendwie falle ich ein bisschen aus der Reihe damit. Wobei ich mittlerweile aber auch glaube, dass es hier und da ein paar "Gefälligkeitsterne" für Reziexemplare gibt. Naja, Geschmäcker sind verschieden! ;)

wandagreen kommentierte am 30. Juni 2017 um 06:50

Das ist oft so, dass sich Journalisten oder Drehbuchschreiber schwer tun, von ihrer "Masche" Reportage oder Drehbuch wegzudenken. Es gibt einige, die es können, aber sie sind doch die Ausnahme. Schöne Rezi, Zivilistin Minzi!

katzenminze kommentierte am 01. Juli 2017 um 16:46

*salutiert*

Steve Kaminski kommentierte am 06. Juli 2017 um 14:21

Eine gut geschriebene, witzige Rezi - ohne das Buch zu kennen, habe ich mich amüsiert. Es klingt jedenfalls einleuchtend, was Du schreibst.

PS: Vielleicht war die Dame mit dem "geschwollenen Busen" vorher gestürzt, nach vorne?