Rezension

Fordernd, aber lohnend

Die Topeka Schule - Ben Lerner

Die Topeka Schule
von Ben Lerner

Bewertet mit 4 Sternen

Ich mag das Buch. Es ist eigenwillig und fordernd, aber es gibt seinen Lesern auch viel zurück.

Ich mag das Buch. Es ist eigenwillig und fordernd, aber es gibt seinen Lesern auch viel zurück.

Seine Eigenwilligkeit zeigt es vor allem in seiner ganz eigenen Art zu erzählen. Die Handlung setzt sich im Wesentlichen aus vielen einzelnen Erzählungen zusammen, die durch Wiederholungen und ein wenig Rahmenhandlung zusammengehalten werden. Überhaupt sind Wiederholungen das Steckenpferd des Buches. Wörter, Anekdoten, Ideen und Überlegungen – sie alle kommen öfters vor, wenn auch häufig in einem neuen Kontext. So zieht das Buch Verbindungen, knüpft Analogien und belohnt den Leser für seine Aufmerksamkeit, indem er einen ganz neuen Gedankengang aus einem alten gewinnt.

Eine dieser unzähligen Wiederholungen ist die Erkenntnis etwas zugleich aus der Ich- und der Er/Sie-Perspektive zu erleben. Dieses Motiv erzählt das Buch immer wieder schwarz auf weiß. Gleichzeitig versteckt es es aber auch in seiner Art zu Erzählen – und damit komme ich schön langsam zu dem Punkt, an dem das Buch fordernd wird:

Der multiperspektivische Erzählstil macht die Geschichte reicher, ist aber auch eine Herausforderung. Damit testet das Buch seine Leser. Ganz grundsätzlich will es, dass der Leser ihm seine volle Aufmerksamkeit schenkt. Komplizierte Sätze voller intelligenter Zitate und anspruchsvoller Wörter machen die Geschichte zu keiner Erzählung, der man sich einfach so mal widmen kann. Der Wechsel zwischen den Erzählenden erschwert es zusätzlich den Überblick zu behalten –  wer erzählt gerade, wie steht derjenige mit den anderen Figuren in Beziehung und welches Wissen und welche Erlebnisse gehören zu seiner Person? Um das Verwirrspiel zu perfektionieren, ändern sich die Erzählperspektiven: mal erzählt ein Ich, mal ein Er, mal eine Sie – eben jene Wiederholung der Erste-Dritte-Person-Dualität.

Ich geriet wegen dieser hohen Ansprüche während des Lesens öfter in Streit mit dem Buch. Meine wesentliche Frage dabei: warum tat es mir das an? Warum musste die Geschichte so kompliziert sein? Ich konnte es mir nur so erklären, dass hinter der oberflächlichen Erklärung ein tieferer Sinn steckte. Auf jeden Fall ging es diesem Buch (auch) um Sprache. Ziemlich am Ende kam mir ein Gedanke: während man bei allen anderen Büchern zwischen den Zeilen lesen musste, stand hier schwarz und weiß auf den Zeilen, was zwischen den Zeilen stehen sollte und man musste zwischen den Zeilen lesen, was eigentlich auf den Zeilen stand.

Nur war ich leider überfordert damit herauszufinden, was es denn war, dass nicht auf den Zeilen stand, wo es hingehörte – irgendwie hatte ich das Gefühl, das Buch sei enttäuscht von mir. Ich habe mich dauernd gefragt, was es mir verdammt noch mal sagen will – und dann hat es es mir gesagt, ganz nebenbei in einem klipp und klar zu deutenden Satz – „Du glaubst bestimmt, dass ich spinne. Nein, ich finde, es ist eine wunderschöne Geschichte. Über Familie, Kunst, Erinnerung und Bedeutung, wie das alles entsteht und vergeht“ (Seite 285) – nur um kurz darauf einen plötzlichen Gedankensprung zu Hermann Hesse zu machen, der mich glauben lässt, das Buch hätte mich mit seiner Antwort nur noch mehr für dumm erklärt – gesagt: ‚Komm schon, es ist so offensichtlich‘ und dann: ‚aber dachtest du ernsthaft es ist so einfach?‘ Ich sehe das Buch schadenfreudig ins Fäustchen lachen. „Was geschieht in diesem Moment? Was denken und empfinden die handelnden  Figuren? Sag mir, was zu dieser Szene geführt hat.“ (Seite 384) Und ich ärgere mich, aber mag das Buch für seine spitzbübische Art gleichzeitig noch mehr – ein Widerspruch, noch so ein sich immer wiederkehrendes Motiv der Geschichte.

Dazu passt meine Lieblingsstelle im Buch. Sie findet sich am Anfang und am Ende des Buches – da haben wir die Wiederholung wieder – und bringt dabei die besondere, liebenswürdige Eigenart des Buches auf den Punkt, als sie herrlich verwirrt erzählt: „Was Darren  ihnen nicht begreiflich machen konnte, war, dass er die Kugel niemals geworfen hätte, nur hatte er es schon immer getan.“ (Seite 10)

Und abschließend noch ein weiteres sich wiederholendes Motiv: das Schnellsen. Der Begriff beschreibt beim Debattieren ein so schnelles Herunterrattern von Belegen, dass das Gegenüber unmöglich Zeit hat auf alle davon einzugehen und somit automatisch das Rededuell verliert. Obwohl das Buch kein Freund vom Schnellsen ist – zumindest lässt es mich das glauben –  muss ich am Ende erkennen, dass es sich diese Technik bei mir bedient hat. Das Buch überschüttet mich mit Andeutungen, Analogien, Wiederholungen, Zitaten, Weisheiten und unterschwelligen Botschaften, die sicherlich einen tieferen Sinn haben, aber die ich so schnell und in der Masse gar nicht verarbeiten kann. Am Ende hat sich das Buch so sehr in seiner Sprache verhaspelt, dass die Klimax untergeht. Das nehme ich dem Buch übel. Ebenso wie ich es ihm übel nehme, mich letztendlich ohne Erklärung für das ganze Theater mir nichts dir nichts aus seinem Bann zu katapultieren – wenigstens habe ich stattdessen viel anderes dazugewonnen: neue Wörter, Zitate, einzigartige Gedankengänge, unterhaltsame Geschichten und Analogien zum Schmunzeln.