Rezension

"Frames", welche die Wahrnehmung prägen und auch die Realität verstellen

Politisches Framing - Elisabeth Wehling

Politisches Framing
von Elisabeth Wehling

Bewertet mit 4 Sternen

Die "Frames", um die es in Elisabeth Wehlings Buch geht, sind gedankliche Deutungsrahmen, die, so die Autorin, unsere Sicht bestimmen; solche Frames aktivieren in unserem Gehirn weitere Vorstellungen, welche die Deutung von Phänomenen bestimmen.
Wehlings Buch hat einen theoretischen Teil, in dem sie die Mechanismen beschreibt, die im Gehirn ablaufen (sie ist Kognitionsforscherin), und einen praktischen Teil mit vielen Beispielen von Frames und den damit verbundenen bzw. ausgelösten Vorstellungen. Ein Beispiel ist der Frame der Flüchtlingsflut, -welle bzw. des Flüchtlingsstroms oder -zunamis (auch der Flüchtlingslawine), bei dem Menschen als Naturkatastrophe dargestellt werden. Wehling schreibt:

»Flüchtlinge werden hier metaphorisch als Naturgewalt […] begreifbar gemacht: Das führt zu vier zentralen, unbewussten Schlussfolgerungen:
Die Bewohner unserer Städte übernehmen die semantische Rolle des Opfers.
Den Flüchtlingen wird die semantische Rolle der Bedrohung zugeschrieben. Sie sind die Wassermasse, die ohne Sinn und Verstand – und vor allem ohne Ziel und Zweck! – das Land überrollt. Sie überschwemmen unser Land, hinterlassen verwüstete Landschaften, großen wirtschaftlichen Schaden und eine traumatisierte  Bevölkerung.
Sie selbst sind keiner Gefahr ausgesetzt. Wasser schlägt nicht auf unser Land, weil ihm irgendwo hinten im Ozean jemand etwas Böses will. Die Bedrohung und Not, der die Flüchtlinge in ihren eigenen Ländern ausgesetzt waren, haben in diesem, Frame also keinen Platz.
Und als Letztes werden den Flüchtlingen Menschlichkeit, Gefühle und Individualität abgesprochen. Die Rolle einer Wassermasse gibt das nicht her […].« (S. 174 f.)

Ein anderer in diesem Zusammenhang wichtiger Frame ist der vom Schutz, zu dem die Vorstellungen gehören: Es gibt eine Gefahr oder Bedrohung, jemand kann Schaden nehmen und es gibt jemanden, der schützend eingreift (S. 183). Wehling führt diese Metapher am Beispiel des Klimaschutzes aus (S. 182–184), ich möchte hier aber auf das Bild der von Flüchtlingen bedrohten oder verletzten Grenzen verweisen. Grenzen sind Abstraktionen – durch Konvention oder aufgrund von Macht festgelegte gedachte Linien, sie sind nichts, das man »verletzen«, dem man Schmerz zufügen kann o.Ä. Durch die Begriffswahl erscheinen nicht mehr Menschen als verletzlich und schutzbedürftig, sondern abstrakte Trennlinien. Flüchtlinge, die ohne Erlaubnis eine Grenze überschreiten, so suggeriert die Sprache, sind so etwas wie Gewalttäter – und diejenigen, die sie daran hindern, tapfere Verteidiger, sie sind »die Guten«. Dabei geht es um Abschottung und sonst gar nichts; das klingt aber weniger gut als der Schutz der andernfalls verletzten Grenzen. Die Personen, welche über die Grenzen kommen wollen, werden mit ihren jeweiligen Lebensgeschichten unsichtbar gemacht.
Die Politiker - und keineswegs nur die der AfD -, die mit solchen Bildern arbeiten, manipulieren die Bevölkerung. Wehlings Buch ist wichtig, indem es zeigt, wie Frames und Bilder die Wahrnehmung bestimmen - und teils die Wahrnehmung von der Realität wegleiten.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 31. August 2019 um 15:46

Wenn ich das lese, kriege ich die Krätze!

Steve Kaminski kommentierte am 01. September 2019 um 11:08

Es ist trotzdem richtig, was da steht.

wandagreen kommentierte am 02. September 2019 um 17:02

Nein. Es ist nicht richtig. Menschen, die ohne Erlaubnis Grenzen überschreiten, sind illegale Einwanderer, insofern Straftäter. Warum sollten sie keine Erlaubnis einholen? Und wenn sie keine bekommen, tun sie etwas Verbotenes. Mexiko - USA - the same.

Abschottung  - Abgrenzung: natürlich.

Das ist allerdings gewachsen. Ein Staatsgebilde wurde im Laufe der Zeit definiert, Begriff und Zuständigkeiten sind gewachsen und als Erweiterung des Stammes gedacht. Dinge verändern sich nun einmal. Wir haben auch kein Faustrecht mehr, obwohl das das ursprüngliche war. Anders kann man das Zusammenleben von Vielen nicht regeln. Man muss Ausschlusskriterien haben.

Mit "Flüchtlingwelle" ist erst einmal etwas benannt, was unkontrolliert ist - und das war und ist es i.d.R. auch. Dahinein so emotionale Töne zu bringen, ist vom scheinbar politisch korrekten Sprachgebrauch aufgebauscht. 

Bei den Frames insgesamt ist schon was Wahres dran, sie sind aber je nach Lesart, interpretierbar.

 

Steve Kaminski kommentierte am 10. September 2019 um 18:55

Es ist die Frage, Wanda, was man als Erstes sieht - was primär ist: die Menschen oder Gesetze, die eigentlich für die Menschen da sein sollen.

Das Buch von Frau Wehling hat einen theoretischen Teil und einen praktischen mit vielen unterschiedlichen Beispielen - aus diesem habe ich etwas herausgenommen, ursprünglich für einen Artikel, den ich geschrieben habe und in den dieses Beispiel sehr gut passte.

Die Menschen sind das Erste, und wenn man davon ausgeht, verzerrt das Bild mit den Flüchtlingsströmen etc. die Wirklichkeit, es verdeckt das Schicksal der Menschen als Personen, um die es geht - übrigens stehen auch in Religionen wie dem Judentum und dem Christentum, das ja auf der Lehre des Juden Jesus aufbaut, die Menschen an erster Stelle.

Das Bild mit dem Verletzen der Grenzen habe ich hinzugefügt - als Anwendung von Frau Wehlings Ansatz. Es ist auch ein Beispiel, wie Sprache die Wahrnehmung lenkt - von den Menschen weglenkt, um die es geht.

Im Buch Der Reisende von Boschwitz gibt es eine Szene, wo die Hauptfigur, Silbermann, die belgische Grenze überschreiten will, um sein Leben von den Deutschen und dem Nationalsozialismus zu retten - und die Argumente, die ihm entgegengehalten werden, sind genau die von heute. Ja - Juden, die ihr Leben retten wollten, waren Gesetzesbrecher, in Deinem Sinn. Und Sie hatten ein Recht dazu, das grundlegender ist als die Gesetze!