Rezension

Frau = Mutter? Denken wir wirklich so eindimensional?

Die Uhr, die nicht tickt - Sarah Diehl

Die Uhr, die nicht tickt
von Sarah Diehl

Zum Inhalt: Entspannt ist es nicht, das Verhältnis zwischen Müttern, bzw. Frauen mit Kinderwunsch und solchen, die keinen Kinderwunsch verspüren. Wie unentspannt es tatsächlich ist, ist mir nach und nach bei der Lektüre des Buches „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich. Eine Streitschrift“ von Sarah Diehl bewusst geworden.

In neun Kapiteln führt die Autorin uns durch die unterschiedlichen Facetten der Kontroverse zwischen Müttern, Frauen, die noch Mütter werden wollen, und jenen Frauen, die sich „ihrer biologischen Natur verweigern“. Dabei beleuchtet sie sowohl historische Rollen- und Familienkonzepte und die Perspektive von Gesellschaft und Politik auf das Thema, aber auch so persönliche Themen wie Sinn, Glück, Selbstverwirklichung und Verantwortung, Freiräume, Konformitätsdruck und Vereinbarkeit. Am Ende des Buches steht ein Kapitel über alternative Konzepte von Familie und Zusammenleben.

Eingeflossen in das Buch sind viele Gespräche, die die Autorin mit Frauen, die aus unterschiedlichen Gründen freiwillig keine Mutter sind, geführt hat; außerdem Aspekte und Ansatzpunkte aus unterschiedlichen zeitgenössischen Werken, die sich mit dem Thema auseinandersetzen.

Ein wichtiger Aspekt im Buch, auf welchen immer wieder eingegangen ist, ist die besondere Einstellung der deutschen Gesellschaft zum Wert von Familie und Mutterschaft, die durch die Instrumentalisierung und Aufwertung der Familie während der beiden Weltkriege (mit) geprägt wurde. Dieser gesellschafts-historische Blick auf Mutterschaft und Familie ist mit ein Grund dafür, warum bei uns so viel stärker als bei unseren europäischen Nachbarn die Mutterschaft hochstilisiert wird, es so viele „Helikopter“-Mütter gibt, die, obwohl selbst täglich am Rande der totalen Überlastung, nach Perfektion streben und deren hehres Ziel es ist, „alles“ für die Kinder zu geben. Um im Angesicht des mit Klischees und Erwartungen überfrachteten Bild von Mutterschaft bestehen zu können, werden die Fronten zwischen Müttern und Kinderlosen immer weiter verstärkt und es scheint mitunter, als würde es nur noch zwei Lebensalternativen geben: das „Reproduktionsmodell“, das gleichbedeutend ist mit Engagement, Loyalität, Verantwortung, Erfüllung und Glück – und das „Verweigerungsmodell“, synonym einerseits mit Egoismus, Selbstzentriertheit und Karrierefixiertheit und andererseits mit Sinnentleertheit, Scheitern, Unerfülltheit und Einsamkeit. Erschreckend schwarz und weiß!

 Eigene Meinung: Meiner Meinung nach ist der Autorin der inhaltliche Bogen zwischen der sehr persönlichen Entscheidung für oder gegen Kinder einschließlich der Sichtweisen und Lebensmodelle, die hinter dieser großen Entscheidung stecken  - sowie dem gesellschaftlichen und politischen Kontext sehr gut gelungen. Viele Aspekte, z.B. wie sehr bestimmte Sichtweisen, sowie Werte und Normen auch in unserer doch so liberalen Gesellschaft noch immer von der (Familien-) Politik aktiv gefördert werden, sind mir bei dieser Lektüre sehr deutlich vor Augen geführt worden.

Das Thema Kinderwunsch bzw. Lebensplanung mit oder ohne Kinder ist für mich ein sehr aktuelles, da auch ich in meinem Freundes- und Bekanntenkreis seit einiger Zeit (wir sind alle in dem Alter, in dem solche Fragen „brandaktuell“ werden) verwundert und z.T. auch ein bisschen geschockt den „Glaubenskrieg“ zwischen jungen Müttern, solchen die es noch werden wollen und solchen, die sich bewusst gegen Kinder entschlossen haben (wozu ich selbst gehöre) verfolge. Fast „erleichtert“ war ich, von der Autorin vor Augen geführt zu bekommen, dass die verhärteten Fronten zwischen beiden Seiten und das Nicht-Abweichen-Können und Hochstilisieren der eigenen „Front“ (vor allem auf Seiten der Mütter) keine Besonderheit ist, die speziell meinen Freundeskreis erfasst, sondern eine gesellschaftliche Entwicklung, die auf vielerlei Ebenen zu beobachten ist.

Auch kenne ich den Aspekt der „Verunsicherung“ in Bezug auf die eigene Einstellung und die eigene Überzeugung - im Angesicht all der Vehemenz, mit der der Kinderwunsch und die Mutterschaft als „zentrale Bestimmung der Frau“ in unserer heutigen Gesellschaft diskutiert werden. Die von vielen Interviewpartnerinnen der Autorin geäußerte Verunsicherung angesichts des breiten gesellschaftlichen Konsens à la „okay – das ist Deine Entscheidung, wenn Du keine Kinder willst…aber ob Du das nicht später mal bereuen wirst…“ kenne auch ich. Und das, obwohl ich normalerweise ganz und gar kein Mensch bin, der sich seiner eigenen Entscheidungen und Ansichten unsicher ist!

Umso dankbarer bin ich der Autorin für dieses Buch, das diese in großen Teilen sehr persönliche Thematik in einen allgemein-gesellschaftlichen Kontext stellt und mir damit eine Menge neuer Gedanken und in vielerlei Hinsicht eine neue Sichtweise auf das Thema geschenkt hat.

Sehr interessant war dabei für mich der Aspekt, vor Augen geführt zu bekommen, wie sehr Frauen mit Kindern heutzutage (noch immer – oder stärker denn je?) unter der Unvereinbarkeit von Mutterschaft und gesellschaftlichem Leben leiden. Dazu wird im Buch Lisa Ortgies zitiert: „Das größte Problem an der Vereinbarungsfrage ist der Umstand, dass alle glauben, das Thema hat sich erledigt. Doch im Vergleich zu den Freiheiten, die Mütter in den europäischen Nachbarländern genießen, ist und bleibt Deutschland bis auf weiteres ein Entwicklungsland.“

Konfliktfrei Kinder und Karriere, ein eigenständiges Leben außerhalb des Familienverbands zu haben, geht bei uns in Deutschland kaum. So habe ich das nie gesehen, meine Sichtweise war bislang immer die einer modernen Gesellschaft, in denen Frauen mehr Freiheiten und Möglichkeiten zur Entfaltung denn je – ob mit oder ohne Kinder – haben. Sarah Diehls Beweisführung, dass dies allerdings nicht wirklich so ist, ist hier lückenlos – und fatalerweise ist oftmals das übersteigerte Bild von Mutterschaft und vollwertiger Weiblichkeit, das in unserer Gesellschaft existiert und von vielen Frauen zu ihrer persönlichen Maxime erhoben wird, der Ursprung des Konflikts. Ein für mich völlig neuer Blickwinkel.

Soll ich noch etwas Negatives erwähnen? In manchen Kapiteln haben sich mir inhaltliche Wiederholungen zu sehr gehäuft – Aspekte, die in meinen Augen entweder im selben  oder in vorherigen Kapiteln bereits ausreichend geschildert und mit Beispielen belegt waren, wurden später nochmals aufgegriffen und erneut geschildert.

Abgesehen davon kann ich für dieses Buch eine klare Leseempfehlung aussprechen – sowohl für Frauen, die Kinder haben, solche, die sich welche wünschen und solche, deren Leben auch ohne Kinder komplett ist – denn es scheint ein unfassbar großes Unverständnis, kombiniert mit jeder Menge zweifelhafter „Weisheiten und Wahrheiten“ zwischen diesen Lagern zu herrschen.