Rezension

Frauen reden Klartext

Was wir lieben -

Was wir lieben
von Lucy-Anne Holmes

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die weibliche Sexualität ist ein Thema, das noch häufig sehr tabu- und schambehaftet ist. Die britische Autorin Lucy-Anne Holmes hat sich zum Ziel gesetzt, dem entgegenzuwirken und Frauen darüber zu Wort kommen zu lassen, was sie beim Sex empfinden, wie sie darüber denken und was ihre Vorlieben sind.

Auf den ersten Blick wirkte das Buch leider etwas abschreckend auf mich, da der Klappentext – die Kurzbeschreibung von Frauen und ihrer Vorlieben – etwas nach Porno und somit nicht sehr ansprechend geklungen hat. Auch die Triggerwarnung – die leider eher kurz und versteckt auf der letzten Seite steht, lässt Befürchtungen aufsteigen. Diese Warnung gehört meiner Meinung nach an den Anfang des Buches und viel präsenter gestaltet, da ich mir gut vorstellen kann, dass das Buch bei anderen LeserInnen Wunden aufreißen kann. Glücklicherweise wird der eher negative erste Eindruck im Inhalt nicht bestätigt, ich befürchte aber all das in Kombination mit dem Verlag „Heyne Hardcore“ könnte auf viele LeserInnen abschreckend wirken.

Doch tatsächlich überzeugt das Buch insbesondere durch die große Empathie und Sensibilität, die die Autorin beim Interviewen der insgesamt 51* Frauen unterschiedlichster Länder, Kulturen, Hintergründe und Altersgruppen bewiesen hat, da diese ansonsten sicherlich nicht so offen und ungeschönt über ihr Sexualleben, aber auch ihre Erfahrungen der Vergangenheit, ihre Einstellungen, Emotionen und Fantasien berichtet hätten.

Das Buch ist in verschiedene Kapitel aufgeteilt, die jeweils ein Fokusthema aus unterschiedlichen Sichtweisen betrachten. Dabei steigt das Alter der interviewten Frauen mit Fortschritt des Buches weiter an, die jüngste Frau ist 19 Jahre alt, die älteste 74. Jede Geschichte umfasst zwei Seiten und wird begleitet von einem herausgegriffenen Zitat sowie einer Illustration. Durch diese klare Struktur hat sich das Buch super lesen und zum Nachdenken jederzeit unterbrechen lassen, ich habe es als wahnsinnig gut durchdacht empfunden. Außerdem hat mir gut gefallen, dass die Frauen mit Namen, Alter und Herkunftsland beschrieben werden, was das Buch noch persönlicher wirken lässt. So habe ich auch die teilweise abgehakt oder unvollständig wirkenden Sätze verziehen, da wohl nah am tatsächlichen Sprachgebrauch der Frauen im Interview geblieben werden sollte.

Für mich gab es unheimlich viele wahnsinnig interessante Aspekte auch außerhalb der Sexualität in diesem Buch. Einer davon war der kulturelle Unterschied, in verschiedenen Ländern sind die Sicht- und Umgangsweisen mit diesem Thema sehr verschieden, aber auch kontrovers. Des Weiteren fand ich faszinierend, wie sich die eigene Sexualität sowie die persönliche Einstellung dazu mit zunehmendem Alter verändern bzw. entwickeln, die Reflexion über das eigene Intimleben, aber auch das Selbstbewusstsein und Körpergefühl nimmt zu. Vor den zitierten Frauen im Buch habe ich höchsten Respekt, wie offen und ungeschönt sie ihre Erfahrungen mit dem sehr intimen Thema teilen und wie reflektiert sie damit umgehen hat auch mich des Öfteren ins Grübeln gebracht. Schön, dass auch Queer-/ Binär- / Transmenschen einbezogen werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die meisten LeserInnen sich auch an der ein oder anderen Stelle wiedererkennen. Für mich war es aber schockierend zu lesen, wie viele Frauen bereits mit Missbrauch und Gewalt konfrontiert wurden, teilweise schon im Kindesalter. Dies zieht sich auch durch alle Kulturen hindurch und hat mich wütend und betroffen gemacht – bei manchen Geschichten war ich so bewegt, dass ich das Buch erst einmal aus der Hand legen musste. Gerade bei diesen Geschichten hat mich die Offenheit und der Mut der Frauen sehr berührt und ich war voller Dankbarkeit und Bewunderung. Gegen Ende hin wurden die Geschichten teilweise etwas spirituell und esoterisch, womit ich persönlich nicht so viel anfangen kann. Insgesamt haben aber alle interviewten Frauen auf ganz persönliche Weise von sich erzählt, von ihren guten wie schlechten Erfahrungen, von Ängsten, Unsicherheiten, Schmerzen und Hoffnungen, von Liebe und Bedürfnissen – und alles in allem war das sehr bereichernd.

Ebenfalls erwähnenswert ist die wunderschöne optische Gestaltung des Buches, welche es zu etwas ganz Besonderem macht. Bereits das Cover wirkt durch seine knalligen, frischen Farben und die eher versteckten nackten Frauen verspielt, modern, provokant, frisch und frei. In meinen Augen ein gelungenes, da interessantes, freches Cover, das einen offenen Umgang mit dem Thema Sexualität verspricht. Aber auch die innen liegenden Illustrationen sind sehr schön und jeweils absolut treffend für die jeweilige Geschichte gestaltet. Es wurden KünsterInnen unterschiedlicher Stile, Herkunft und Sexualität einbezogen, so dass ein buntes Potpourri aus Bildern vorhanden ist, in dem jede/r ein für sich ansprechendes Werk vorfindet. Natürlich ist Kunst immer Geschmackssache, aber es ist toll zu sehen auf wie unterschiedliche, aber immer geschmackvolle Art und Weise sich KünstlerInnen mit dem Thema Sexualität auseinandersetzen. Auch schön fand ich, dass noch eine Information zum jeweiligen Herstellenden neben dem Bild steht.

Insgesamt hat mir „Was wir lieben“ sehr gut gefallen. Es ist ein Buch, das Mut macht und bewegt, es motiviert dazu, offen mit dem Thema der weiblichen Sexualität umzugehen, Neues zu wagen und Tabus zu brechen.  Ein richtiges „Empowerment“-Buch für Frauen jedes Alters! In jeder Seite spürt man, wie viel Herzblut und Sensibilität die Autorin in das Buch gesteckt hat. Jede einzelne Geschichte des Buches hat ihre Berechtigung und war wichtig zu erwähnen - egal ob freudig, traurig, optimistisch oder nachdenklich. Ich bin jeder einzelnen Frau dankbar, dass sie uns so tiefe Einblicke in ihre Persönlichkeit und ihr Intimleben gegeben hat und habe jede einzelne Geschichte inkl. toller Illustration sehr genossen.