Rezension

Frauenschicksal im 20. Jahrhundert

Sturmvögel -

Sturmvögel
von Manuela Golz

Bewertet mit 5 Sternen

          „Sturmvögel“ ist ein ganz wunderbares, unterhaltsam geschriebenes Buch. Es handelt von Emmy, die 1907 auf einer kleinen Nordseeinsel als älteste Tochter des Walfängers Andries Peterson geboren wird. Hier führt sie mit ihrer Familie ein recht karges, aber zufriedenes Leben. Die Eltern lieben sie.

„Vergiss nie, dass du von uns sehnsüchtig erwartet und immer geliebt worden bist. Diese Liebe, das tiefe Gefühl, erwünscht gewesen zu sein, trug sie durch schwere Zeiten.“ (S. 242)

Früh in ihrem Leben verliert sie erst die Mutter und danach den Vater. Mit 14 Jahren erfolgt die schmerzhafte Trennung von den Schwestern und von der Insel. Emmy wird nach Berlin als Dienstmädchen verpflichtet und muss sich allein durchs Leben schlagen.

Auf 336 Seiten und in 27 überschaubaren, kurzen Kapiteln wird die Lebensgeschichte von Emmy erzählt. Mit ihrer munteren, erfrischenden Art erobert sie recht bald als unerfahrene Inselbewohnerin das turbulente Berlin und Hauke Seidlitz, den Sohn aus reichem Hause. Sie saugt das Neue, das Ungewohnte in sich auf und nutzt ihre Möglichkeiten trotz geringer Schulbildung. Doch sie hat was ganz Wesentliches; sie hat Herzensbildung und einen unschlagbaren Humor. Schließlich heiraten die jungen Leute trotz der Standesschranken, weil sich neues Leben ankündigt. Als die dünkelhafte, äußerst hysterische Schwiegermutter Emmys Erstgeborene brutal schlägt, verläßt die junge Frau Knall auf Fall das Haus und kommt bei ihrer Freundin Marianne unter. Emmy ist ihr ganzes Leben auf der Suche nach einem sicheren Hafen für sich und ihre Lieben. Hier stellt sich der Bezug zum Titel her. Eigentlich sind damit die Walfänger, die Seeleute gemeint, die nach stürmischer See wieder heimkommen. Doch auch Emmy ist ein Sturmvogel! Sie sorgt für drei Kinder, zieht sie groß und betreut noch im hohen Alter eine Pflegetochter. Wie ihr das alles mit ihrer herzerfrischenden, schlagfertigen Art gelingt, machte mir eine riesige Lesefreude. Zumal sie mich in ihrer Warmherzigkeit und ihrem tollen Pragmatismus immer wieder an meine ebenfalls 1907 geborene Großmutter erinnerte. Emmy ist eine ganz starke, praktisch veranlagte Frau. Es ist einfach bewundernswert wie sie durch die schweren Zeiten zwischen den beiden Weltkriegen und danach kommt. Das hätte auch sehr gut bei der Vorgeschichte als riesiges Drama enden können. Die Frau ist fast nie um eine Antwort verlegen, geht nicht gibt es nicht bei Emmy. Sie findet im Leben immer eine gute, für alle zufriedenstellende Lösung.

Manuela Golz hat die Geschichte sehr gewitzt angelegt. Sie beginnt mit dem letzten Sommer Emmys im Jahr 1994. Danach wechseln sich Vergangenheit und Gegenwart ab und so erlebt der Leser ganz authentisch den Entwicklungsweg mit. Die Autorin geht sogar zurück ins Jahr 1870, um zu verdeutlichen, wie lange ein schreckliches Ereignis in einer Familie nachwirken und Einfluß nehmen kann auf das Dasein der Nachgeborenen.
Wir erleben am Ende des Buches eine taffe 87 jährige, die mit sich im reinen ist und auch ihr Erbe, ihr Vermächtnis, an die Nachwelt noch sehr verantwortungsbewußt und klug weitergibt.

Ich empfehle dieses beeindruckende Frauenschicksal des 20. Jahrhunderts zu lesen. Von mir 5 Sterne!