Rezension

Frauenschicksale im noch jungen 20. Jahrhundert

Die Frauen der Familie Marquardt - Nora Elias

Die Frauen der Familie Marquardt
von Nora Elias

Bewertet mit 5 Sternen

Zunächst mal: dieses Buch ist vordergründig Unterhaltungslektüre. Aber: warum sollte Unterhaltungslektüre nicht auch gesellschaftliche Themen aufgreifen, die geschichtlich von großer Bedeutung sind? Ich war (positiv!) überrascht, in diesem Roman einige davon zu finden…

Denn an sehr vielen Stellen wird die Rolle der Frau zu Beginn des 20. Jahrhunderts gespiegelt. Es gibt in diesem Buch ja einige Frauenfiguren, und so ziemlich jede hat an irgendeiner Stelle mit ihrer Rolle oder dem gesellschaftlichen Standesdenken zu hadern. Da ist Louisa, älteste Tochter des Kaufhausbesitzers Caspar Marquardt. Trotz guter Ideen, Engagement und bereits langer Mitarbeit im Kaufhaus des Vaters kann sie das Kaufhaus nicht erben – statt dessen holt der Vater einen entfernten (männlichen) Verwandten nach Köln, der sein Nachfolger werden soll. Ein Schlag ins Gesicht für die ehrgeizige junge Frau. Dann gibt es Mathilda, eine illegitime Tochter von Caspar, die er jedoch anerkannt hat. Er hat ihr eine Stelle im Kaufhaus verschafft – aber trotz ihrer offensichtlichen Qualitäten als Dekorateurin scheut er sich davor, ihr eine gehobene Position anzubieten. Eine Frau als Chefdekorateurin und noch dazu seine uneheliche Tochter – nein, wie soll denn das aussehen? Außerdem ist da Olga, eine noch recht junge Witwe, die sich gezwungen sieht Caspar zu erobern und durch eine Heirat mit ihm ihre Existenz zu sichern, die ansonsten auf wackeligen Füßen stünde. Und es gibt da Frau von Beltz, deren Mann sie liebt. Dennoch werden beide von der Gesellschaft geschnitten, weil das Gerücht geht, sie habe in der Vergangenheit ihren Lebensunterhalt auf zweifelhafte Weise verdient.

Alle Frauen haben unterschiedliche Probleme – und dennoch reduziert sich das Problem letztlich auf die (untergeordnete) Rolle der Frau im beginnenden 20. Jahrhundert. Dabei hat die Autorin das wunderbar in die Geschichte verpackt, so dass es weder aufdringlich noch belehrend wirkt. Und bei allen Debatten um (immer noch) ausstehende Geschlechtergerechtigkeit heutzutage habe ich gesehen, welch weiten Weg die Frauen in den letzten 100 Jahren schon erfolgreich zurückgelegt haben. Schön, dass einem dieser positive Aspekt auch mal in unterhaltender Weise vor Augen gehalten wird.

Kurz gesagt:
Ein Buch, das die Blütezeit der ersten pompösen Kaufhäuser zurückholt. Dazu ein Plädoyer für Frauenrechte. Ein toller historischer Roman!
 

Kommentare

Paperboat kommentierte am 10. November 2018 um 19:55

Ich habe mich neulich ein wenig mit der Geschichte um die Brüder Brennikmeijer (Firma C&A) beschäftigt, und finde es interessant meine Erfahrung mit der Firmengeschichte jetzt auch in deiner Rezension wiederzufinden. Denn die ersten Brennikmeijers haben ebenfalls so verfahren, dass vom Bestimmungsrecht des Familienunternehmens lange, lange Zeit die Frauen ausgeschlossen waren. Erst seit kurzer Zeit, vermutlich seit weniger als zehn Jahren, ist es den weiblichen Nachkommen des erfolgreichen Unternehmens gestattet, bei der Unternehmensgestaltung mitzuwirken.

Eine sehr schöne Rezension!