Rezension

Freakig, abgedreht, modern und super unterhaltsam!

Artemis - Andy Weir

Artemis
von Andy Weir

Bewertet mit 4 Sternen

Andy Weir sagte mir bisher gar nichts, denn "Der Marsianer" habe ich noch nicht gelesen (mittlerweile habe ich aber den Film gesehen und für großartig befunden). Der Klappentext zu "Artemis" hat mich einfach neugierig gemacht, weil er nach irrem Sci-Fi-Krimi auf dem Mond und damit insgesamt richtig cool klang. Und tatsächlich hat mich Andy Weir mit seiner etwas anderen Science-Fiction-Geschichte gleich auf den ersten Seiten komplett abgeholt und das vor allem mit seiner grandiosen Hauptfigur. Erstmal: Wie cool ist das bitte, dass es endlich mal einen modernen Science-Fiction-Roman mit einer weiblichen Protagonistin gibt? Damn, endlich, endlich, endlich! Mich haben die Männer in dem Genre einfach nur noch genervt, Jazz hingegen ist einfach nur der Hammer. 

 

Was bringt Andy Weir nicht alles in ihrem Charakter zusammen: Nicht nur, dass Jazz aus Saudi Arabien kommt und streng genommen eine Muslima ist - nein, sie ist auch ziemlich schräg, hat eine unglaublich große Klappe, hat in der Vergangenheit schon den ein oder anderen Mond-Mann verschlissen und somit einen gewissen Ruf, ist obendrein unglaublich clever und hat jede Menge kriminelle Energie. Aber: Sie hat auch ihre Prinzipien und ist einfach witzig, was wichtig ist, denn so findet man sie trotz ihres sehr speziellen Charakters sympathisch und supercool. Jazz ist eine Mischung aus Antiheld, Superhirn und Schmusebär und damit ein wirklich abgefahrener Charakter, was mich super überrascht und schließlich von den Socken gehauen hat. Da die Geschichte aus Jazz´ Perspektive erzählt wird, bekommt man als Leser ihre teils verdrehten Gedanken ungefiltert ab und das allein macht den Roman zu einem echten Erlebnis.

 

Aber auch die übrigen Figuren sind stark, unkonventionell und besonders. Ich mochte beispielsweise auch Jazz´ Vater sehr, der einerseits verschroben, andererseits aber auch sehr gütig und warmherzig auf mich wirkte. Oder den Kneipenwirt, der Jazz bei jedem Besuch seine neueste Schnaps-Kreation andreht. Oder den freakigen Svoboda, der Jazz im Verlauf der Geschichte den ein oder anderen Gefallen tut und sich dafür auf etwas andere Art und Weise bezahlen lässt. Oder aber Officer Rudy - der einzige Polizist auf dem Mond und ebenso heiß und attraktiv wie nervtötend. Andy Weir hat in "Artemis" einen großen Pool an richtig coolen Charakteren geschaffen, die einfach von vorne bis hinten Spaß machen und der Geschichte das gewisse Etwas geben.

 

Natürlich fand ich außerdem das Setting spektakulär und großartig - durch Jazz´ Augen empfindet man Ehrfurcht für die karge, stille und dabei irgendwie anmutige Mondlandschaft. Ihre Liebe zum Mond und zu Artemis kommt sehr schön zum Ausdruck, auch wenn Andy Weir uns natürlich auch die Schattenseiten einer eigenständigen Gemeinde auf dem Mond zeigt. Die kleine Welt von Artemis wird von Geld regiert - die Stadt gilt als abgefahrenes Reise-Ziel und als exklusiver Rückzugsort für die Superreichen, während einfache Arbeitskräfte wie Jazz in schmalen Konservendosen leben und sich nicht mal eine fünfminütige Dusche leisten können. Klar, dass es in Artemis einen Untergrund gibt beziehungsweise einen florierenden Markt für illegale Geschäfte gibt und da passt Jazz wunderbar rein. Ein weiterer Fakt am Rande: Artemis kann man gut als Multi-Kulti-Stadt bezeichnen, denn dort leben Menschen aus allen Winkeln der Erde. Und sie fühlen sich selbst nicht als Saudis oder als Japaner oder als Amerikaner - sie fühlen sich als Artemisier, als eine Gemeinschaft, die ohne die Fähigkeiten des einen nicht existieren kann. Was für eine starke Botschaft!

 

Ich finde, dass Andy Weir insgesamt sehr plastisch und authentisch erzählt. Er streut viele technische Details in die Handlung ein, die mich aber nicht (wie bei anderen Werken des Genres) überfordert oder ermüdet, sondern die mich interessiert und unterhalten haben. Jazz besitzt jede Menge Know How und sie ist unheimlich clever - eine Tatsache, die den Roman richtiggehend belebt. Er blüht durch seine Nerdigkeit und die vielen freakigen Details auf und das hat mir wahnsinnig gut gefallen. Dadurch bleibt die Handlung durchgehend spannend, obwohl mir diesbezüglich hier und da ein bisschen die Innovation gefehlt hat. Die Geschichte, die Weir um die Kleinkriminelle Jazz und den reichen Unternehmer Trond spinnt, ist zwar alles andere als langweilig oder abgedroschen, aber sie ist eben auch nicht völlig neu und hätte als konventionelle Kriminalgeschichte sicher einige Plot Twists und Überraschungen vermissen lassen. Als Krimi auf dem Mond aber konnte mich "Artemis" schlussendlich überzeugen.

Mein Fazit
Cool, frisch, abgefahren, modern und absolut unterhaltsam: Andy Weir hat mit "Artemis" eine Art von Science Fiction geschrieben, wie ich sie so bisher noch nicht gelesen habe. Besonders großartig fand ich die freakigen und trotzdem liebenswerten Charaktere und das abgespacete Setting. Da konnte ich der Geschichte auch die ein oder andere kleinerere Schwäche verzeihen - ein wirklich großes Lesevergnügen!