Rezension

Freaks und Klischees treffen auf unverständliche Handlung

Mercy 1: Gefangen - Rebecca Lim

Mercy 1: Gefangen
von Rebecca Lim

Klappentext:
Mercy weiß nicht, wer sie ist. Sie hat nicht mal einen eigenen Körper. Manchmal wacht sie einfach in einem anderen Menschen auf und übernimmt für kurze Zeit sein Leben. „Souljacking“ heißt dieser Fluch, dem sie willenlos ausgeliefert ist. Erst als sie Ryan trifft, wird alles anders: Mercy verliebt sich - zum allerersten Mal. Doch Ryan braucht mehr als ihre Liebe, er braucht Hilfe. Seine Schwester wurde entführt und nur Mercy kann sie finden. Denn in Mercy schlummert eine uralte Macht.

Einordnung:
- Gefangen (Teil 1)
- Erweckt (Teil 2)
- Besessen (Teil 3)
- Befreit (Teil 4)

Rezension:
Die Idee hinter der ganzen Geschichte ist wirklich gut. Vermutlich täte es der Idee aber besser, wenn sie eine Idee geblieben wäre. Die Umsetzung ist absolut nicht gelungen.
Positiv anmerken kann ich definitiv die Idee des „Souljackings“. Mercy, wie die Ich-Erzählerin sich selbst nennt, hat keinen eigenen Körper, sondern besteht mehr aus flüchtiger Luft. Sie wird auf eine nicht näher erläuterte Art immer wieder in einen menschlichen Körper gesteckt und übernimmt die Kontrolle über diesen. Mal ist es eine 26jährige ehemalige Drogenabhängige und mal ein Chormädchen aus der High School, so wie in dieser Geschichte. Wenn sie den Körper in Besitz nimmt, kann sie nicht mit dem Mädchen kommunizieren, der dieser Körper eigentlich gehört, und steuert das Leben daher eigenmächtig.
Wenn Mercy den Körper verlässt und in einem anderen aufwacht, kann sie sich nur noch vage an die Geschehnisse erinnern. Es scheint jedoch, dass sie immer in Körpern von Personen landet, die Hilfe brauchen, um ihr Leben wieder auf die Reihe zu bekommen. Bis auf dieses Mal, denn jetzt braucht die Gastfamilie des Mädchens Carmen, deren Körper Mercy übernommen hat, dringend Hilfe, denn Lauren, die Tochter der Familie, ist vor zwei Jahren entführt worden. Dass Mercy sozusagen einspringt, damit das Leben der Mädchen oder in diesem Fall der Familie wieder in geordneten Bahnen verläuft, ist mal eine andere Idee als die sonst immer ganz plötzlich entstehenden Freundschaften und Beziehungen, sodass ein anderer Charakter Einfluss auf die Entwicklung nehmen kann.
Das waren aber auch schon alle positiven Dinge, die mir aufgefallen sind. Neben dem Leben der Carmen, das Mercy weiter führen muss, ist sie auch auf der Suche nach sich selbst. In ihren Träumen erscheint der mysteriöse Luc, der sie vor den Acht warnt und sie bittet, ihn zu finden. Diese Kapitel sind so wirr, dass sie den Fluss der Geschichte ziemlich unterbrechen. Den Sinn dahinter habe ich nicht verstanden, vermutlich muss ich die nächsten Teile der Reihe auch noch lesen, damit ich nicht bei allen Szenen, die sich um Mercys übernatürliches Wesen drehen, dicke Fragezeichen im Kopf habe. Allerdings sind diese Andeutungen eher störend als dass sie neugierig auf die nächsten Bände machen, so ganz geschickt ist das also nicht gelöst.
Im Gegensatz dazu steht der „irdische“ Handlungsstrang, der nicht verwirrend, sondern ziemlich durchsichtig ist. Obwohl jeder glaubt, dass Lauren Daley, die entführte Tochter der Gastfamilie, bereits tot ist, möchte Ryan, ihr Zwillingsbruder, das nicht wahrhaben. Er fühlt, dass Lauren noch lebt und träumt davon, dass sie in einem dunklen Raum gefangen gehalten wird und Kirchengesang durch die Mauern zu hören ist. Mercy schließt sich ihm in Carmens Körper an, um das Mädchen zu finden und den Entführer zu enttarnen. Die beiden laufen vielen Spuren hinterher und überprüfen zahlreiche sehr plausible Theorien, die den Leser wohl auf die falsche Spur locken sollen. Das ist leider überhaupt nicht geglückt, ich wusste bereits, wer der Entführer ist, noch bevor die beiden den ersten Verdächtigen hatten.
Immer entsetzter wurde ich im Laufe der Geschichte über die Charaktere. Nicht nur, dass sie absolut eindimensional sind wie beispielsweise Mercy und Ryan, es gibt auch niemanden, der einfach normal ist. Die Chorleiter, die oft genug erwähnt werden, um sich eine Meinung über sie bilden zu können, sind eine Furie, ein Perverser und ein so wunderbar junger Mann, dass sämtliche Schüler und vor allem Schülerinnen sich in ihn verlieben. Mr und besonders Mrs Daley, die Gasteltern von Carmen, trauern so intensiv, dass sie schon einen psychischen Schaden davon getragen haben. Die wenigen Jugendlichen, die nicht zum Chor gehören, sind Freaks aller Art.
Und schließlich sind die unzähligen Chormitglieder der vier Schulen, die zusammen ein Konzert geben wollen, erste Sahne High School Klischee. Zicken, die zur gleichen Clique gehören, obwohl sie sich gegenseitig am liebsten die Augen auskratzen würden. Arrogante, selbstverliebte Mädchen mit einer Tonne Make-up, die sich für die coolsten Stars halten. Sozial verarmte Bewunderer (sowohl männlich als auch weiblich), die ihnen auch noch am Rockzipfel hängen und immer zu derjenigen wechseln, die gerade die Nase vorn hat, in der Hoffnung, auch ein wenig Aufmerksamkeit zu bekommen. Und natürlich die verschüchterten Schüler, die keine Freunde finden und jeden Tag mindestens einmal mit dem Kopf in der Toilettenschüssel landen. Ich möchte nicht behaupten, dass es das alles nicht gibt, aber das ist doch ein bisschen viel auf einmal. Da gibt es wirklich niemanden, der halbwegs normal ist.
Zum Schluss möchte ich, neben der Tatsache, dass das gesamte Ende selbst für Fantasy ziemlich unrealistisch ist, noch anmerken, dass auch der Schreibstil gewöhnungsbedürftig ist. Gerade am Anfang machen die Sätze einen ziemlich plumpen Eindruck. Das wird mit der Zeit allerdings besser. Ungefähr in der Mitte des Buches habe ich dann auch bemerkt, dass es im Präsens geschrieben ist und mein Kopf einfach immer nur die Präteritumformen daraus gemacht hat, weil Präsens so ungewöhnlich ist. Sollte das also eine bestimmte Rolle spielen und nicht bloß Zufall sein, ist das an mir vorbei gegangen.
Und ein Kritikpunkt, den ich aber vermutlich eher der Übersetzerin als der Autorin in die Schuhe schieben sollte, ist die Tatsache, dass die Personen nicht immer gleich heißen. Mal heißt die Chorleiterin Miss Dustin, mal heißt sie Miss Justin. Carmens Gastfamilie heißt mal Darley und mal Daley. Da hätte wirklich jemand genauer drüber schauen können.

Fazit:
Die grundlegende Idee der Geschichte ist wirklich gut. Leider scheitert es bei der Umsetzung an allen Ecken und Enden. Die Charaktere sind entweder Freaks oder Klischees. Die Handlung ist entweder verwirrend und sinnlos oder viel zu transparent. An den Schreibstil konnte ich mich allerdings dann doch noch gewöhnen. Insgesamt bekommt „Mercy: Gefangen“ nur enttäuschende zwei Schreibfedern von mir.