Rezension

Fremdheit beruht auf dem Winkel ihrer Betrachtung

Denn wir waren Krieger - Wajima Safi

Denn wir waren Krieger
von Wajima Safi

Fremdheit beruht auf dem Winkel ihrer Betrachtung

Nach ihrer Flucht vor den russischen Panzern in Kabul landen Layla und Jamal Paktiawal im Jahr 1980 mit ihrer kleinen Tochter Mina in München. Das Ehepaar aus Afghanistan hat alles hinter sich gelassen und muss sich nun in einer Welt zurechtfinden, in der sie weder die Sprache, noch die für sie fremd anmutende Lebensweise verstehen. Sie registrieren die Ablehnung in den Augen der Menschen, müssen Demütigungen hinnehmen. Die Sehnsucht nach der geliebten Heimat im Herzen versuchen Layla und Jamal, sich in ihrem neuen Leben in Deutschland zurechtzufinden.

Wajima Safi erzählt in ihrem Debütroman die Geschichte von zwei intelligenten und gebildeten jungen Menschen, denen angesichts einer tödlichen Bedrohung kein anderer Ausweg bleibt, als ihre Heimat zu verlassen. In eindrucksvollen Worten beschreibt die Autorin die Ankunft der Paktiawals im sicheren Deutschland und verleiht ihren Eindrücken und Emotionen auf einfühlsame Art und Weise Ausdruck. Wajima Safis verfügt über einen wunderschönen und bildhaften Schreibstil, ihre poetische Ausdrucksweise hat mich an etlichen Passagen dieses Buches regelrecht verzaubert:

"Der Bahnhof schien langsam zusammen mit ihr und ihrer Familie zu erwachen. Laylas Blick glitt sachte über das bewegte Bild vor ihren Augen, das wie ein flüssiges Tableau voll bunter, unbekannter Farben an ihr, der Außenstehenden, vorbeizog. Die Schritte all der genauso verschlafenen Fahrgäste, deren Betrachtung ihre erste Lektion eines ewigen Lernprozesses werden würde, schienen gleichsam mit der Intensität der Morgensonne an Geschwindigkeit zuzunehmen. "

Die Autorin berichtet von Laylas und Jamals Ankunft, eingeholt von der nüchternen Realität, fern von Familie und Freunden, gestrandet in einer unsicheren Zukunft. Ich habe selten ein Buch mit derart hervorragend charakterisierten und authentischen Protagonisten gelesen, wie es im vorliegenden Roman der Fall war. Die Autorin hat mich durch die lebhaften Beschreibungen ihrer handelnden Figuren regelrecht gefangengenommen. In Layla und Jamal brodeln tiefe Gefühle, beide haben müssen einiges aus ihrer Vergangenheit aufarbeiten. Der in Djalalabad geborene Jamal war ein wildes Waisenkind aus den Bergen, der sich als Lehrer an einer Schule in seine wunderschöne Kollegin Layla verliebte. Laylas Umgang mit ihm gestaltete sich manchmal als schwierig, emotionale Verletzungen bleiben nicht aus. Der hoch intelligente Mann bezeichnet sich als Paschtune und Krieger und weigert sich, eine Arbeit anzunehmen, die unter seiner Würde ist. Seine Frau Layla besitzt ein friedfertiges und sanftmütiges Wesen. Ihre inneren Kämpfe, aber auch ihre Hoffnungen und liebevolle Erinnerungen an längst vergangene Tage werden eindrucksvoll beschrieben. Während Laylas und Jamals Tochter Mina nur eine kleine Rolle in dieser Geschichte innehat, wird auf ihren kleinen Bruder Omar ein weit größeres Augenmerk gelegt. In Deutschland geboren kann der Junge zu Gesprächen seiner afghanischen Familie und ihren Erinnerungen an die Heimat nichts beitragen. Omar, der sich auch optisch durch seine blauen Augen und die helle Haut von ihnen unterscheidet, wird von einer großen inneren Zerrissenheit gequält, er fühlt sich einsam und verloren. Als interessante Nebenfigur taucht eines Tages Laylas schwer traumatisierte Schwester Fausia auf. Durch ihre Berichte aus der Heimat vermittelt sie dem Leser schockierende Einblicke in das vom Krieg gebeutelte Kabul.

Die Ankunft des Ehepaares Paktiawal auf dem Bahnhof in München bildet den Einstieg in dieses Buch. Doch die Geschichte von Layla und Jamal beginnt bereits Jahre zuvor. Wajima Safi rollt durch viele Rückblenden die Vergangenheit nach und nach auf und zeichnet auf diese Weise ein detailliertes Bild des Lebens ihrer Protagonisten in der Heimat. Afghanische Traditionen, konservative Ansichten, der muslimische Glaube und der manchmal steinzeitliche anmutende Ehrenkodex werden mit großer Liebe zum Detail beschrieben. So findet Layla beispielsweise nach der Ankunft in der Flüchtlingsunterkunft den Umgang mit alten Menschen in Deutschland völlig unverständlich:

"Es war ihr fremd, dass ein alter Mensch alleine lebte, dass er den ganzen Tag nichts tat, außer aus dem Fenster zu sehen, dass dieser Mensch scheinbar vergessen worden war wie eine aussortierte Requisite. Layla erinnerte sich, dass den Großeltern in ihrer Heimat große Ehrerbietung entgegengebracht wurde, sie waren stets im Zentrum der Familie, niemals alleine. Der Anblick eines alten Menschen, der alleine lebte, war für sie ungewöhnlich.“

Ich empfand dieses Buch als richtige kleine Perle und versank innerhalb kürzester Zeit tief in der Geschichte von Layla und Jamal. „Denn wir waren Krieger“ lebt von der ungewöhnlich hohen Authentizität seiner handelnden Figuren und vermittelt tiefe Einsichten, die mich als Leser an einigen Stellen sprachlos zurückließen. Dieses großartige Debüt von Wajima Safi hat mir ausgezeichnet gefallen, mich nachdenklich gemacht und meine Sicht auf einige Dinge intensiviert und verändert. Uneingeschränkte Leseempfehlung für diese tief zu Herzen gehende Lektüre!

"Afghanistan wird nie wieder so schön sein, wie es in unseren Erinnerungen ist."

"Sie konnten nicht mehr zurück, weil Afghanistan vom Winde verweht, von den Flüssen mitgetragen und dem Regen verschluckt worden war. Afghanistan gab es nicht mehr. Afghanistan war gegangen, eine eitrige schmerzende Wunde war geblieben. Es wartete nicht mehr. Afghanistan wartete nicht mehr."

„Denn wir waren Krieger“ ist ein gewaltiges Buch einer Autorin, deren Namen man sich unbedingt merken sollte!