Rezension

Für Betroffene, Angehörige und jeden ehrlich Interessierten!

Depression abzugeben - Uwe Hauck

Depression abzugeben
von Uwe Hauck

Bewertet mit 4 Sternen

Aufschlussreich und absolut ehrlich - wohl eines der wichtigsten Bücher in diesem Jahr

Zuerst noch kurz eine Trigger-Warnung für Details zum Thema Depression - der Titel sagt es ja schon, aber sicher ist sicher. Außerdem wird die Rezension etwas länger, aber das hat dieses Buch auch verdient.

In Depression abzugeben erzählt Uwe Hauck nämlich auf ausführliche und persönliche Weise von seiner Depression, Therapien und allem was dazu gehört, um mehr Menschen zu zeigen was genau hinter dieser Krankheit steckt. Es beginnt auch sofort mit der schlimmsten Phase die der Autor durchleben musste und schließlich zum Suizidversuch geführt hat, welcher vom Auslöser bis zum Krankenhausaufenthalt beschrieben wird. Das kann schon fast als schonungsloser Einstieg bezeichnet werden und ist nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Trotzdem, oder gerade deswegen, finde ich es wichtig davon zu lesen und diese gefährlichen Gedankenspiralen kennen zu lernen, die zu solchen drastischen Entscheidungen führen.

Viele neue Eindrücke bieten dann die Beschreibungen der Abläufe in der Psychiatrie. Dass Zwangsjacken und Gummizellen hier nicht an der Tagesordnung sind dachte ich mir schon, aber eine genauere Vorstellung hatte ich auch nicht - und es gibt genug Leute die solche Klischees noch immer für die Realität halten, also sollte man genau deswegen darüber sprechen. Es war erschreckend und enttäuschend zu lesen, dass im Bezug auf psychische Krankheiten noch immer so viel Unverständnis, Vorurteile und soziale Tabus existieren und diesen unvorstellbaren Druck ausüben.

Das gilt auch für die Schwarzmalerei von Twitter & Co, womit der Autor immer wieder konfrontiert wird und die mich ehrlich gesagt doch überrascht hat. Unsere Generation geht inzwischen selbstverständlich mit der Technik um und vergisst schnell einmal, dass ein großer Teil der "Älteren" noch immer viele Vorbehalte hat. Dabei scheint gerade Twitter dem Autor geholfen zu haben - nicht zuletzt hat er dort den Hashtag #ausderklapse kreiert, unter dem er regelmäßig aus der Klinik berichtet hat. Diese Tweets finden sich auch gelegentlich im Buch wieder, was eine tolle Idee und Auflockerung war. Ich konnte zwar nicht immer einen direkten Bezug zwischen Tweet und dem jeweiligen Absatz herstellen, aber trotzdem wurde das Ganze dadurch noch einmal greifbarer. Auch Erwähnungen von Quizduell oder Whatsapp-Gruppen helfen zu realisieren, dass genau jetzt depressive Menschen gegen ihre Krankheit ankämpfen.

Und das wird im Verlauf des Buches immer klarer, selbst wenn man sich dessen schon bewusst war: Depression ist einfach eine Krankheit, eine Verletzung der Seele, mehr wie ein Knochenbruch und weniger wie Zwangsjacken-Verrücktheit. Dadurch wird außerdem deutlich dass es endlich normal sein sollte, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu suchen. Wenn man sich ein Bein bricht versucht man schließlich auch nicht, das selbst wieder zu richten. Bei psychischen Krankheiten kommt nur leider das Problem der Unsichtbarkeit dazu, was eine weitere Erinnerung an die Wichtigkeit des Buches ist.

Die Stimmung heben kleine Witze oder Wortspiele, oft mit einer Portion Sarkasmus und schwarzem Humor. Das finde ich persönlich großartig, denn es zeigt dass der Autor und die anderen Patienten trotz allem noch über sich selbst lachen können. Interesse wie es weitergeht wird durch Andeutungen und Ausblicke geweckt; nur manchmal fehlte die Spannung und einige Beschreibungen haben sich etwas gezogen. Doch auch die trägen Stellen spielen eine Rolle, weil es sich ja für die Patienten selbst so anfühlt. Ebenso deutlich erlebt man auch die Momente, in denen aus normalen Situationen hinterrücks dunkle Gedanken entstehen, was doch sehr erschreckend war und zeigt, dass man diese Abwärtsspiralen nur schwer aufhalten kann wenn man sie nicht erkennt.

Es ist also unabdingbar von den Klinikaufenthalten, Therapien und Gesprächen zu erzählen, aber was mich vor allem interessiert hat waren die Reaktionen der anderen Menschen im Umfeld des Autors. Seine Familie geht beispielsweise fast schon vorbildhaft mit der schwierigen Situation um und hat ein großes Lob verdient, aber leider gibt es wie erwähnt auch viel Unverständnis oder Rücksichtslosigkeit. Von den Freundschaften zwischen den Patienten hätte ich außerdem gern noch etwas mehr erfahren, was aber verständlicher Weise nicht immer leicht einzubauen ist. Dafür gibt es mit jedem Wechsel zwischen Station, Tagesklinik und Reha wieder neue Menschen, neue Therapien und neue Eindrücke wie das Leben mit dieser Krankheit aussieht.

Viele Menschen die an einer psychischen Krankheit leiden müssen auf schwierige Ereignisse in ihrer Kindheit zurückblicken, und ich hatte großen Respekt für die Offenheit, mit der dieser Aspekt behandelt wird. Im Laufe des Buches merkt man außerdem, wie sich unbewusst seine Sprache verändert je besser es dem Autor geht. Und obwohl das Ende etwas abrupt war, runden intelligente, logische Feststellungen über psychische Erkrankungen das Buch ab. Da man viele Momente dieses schwierigen Weges quasi mit dem Autor geht ist man irgendwie selbst stolz auf seine Fortschritte und bekommt viel Respekt vor jedem Betroffenen.

Depression abzugeben ist nicht unbedingt ein Buch was man einfach mal so nebenbei liest, aber wenn man ein ehrliches Interesse an der Krankheit und den betroffenen Menschen hat, kann man unglaublich viel lernen. Manchmal gab es etwas zu viele nebensächliche Details und einen etwas trägen Verlauf der Geschichte, aber es ist vorrangig eine absolut wahre, ehrliche und persönliche Erzählung. Ich hoffe sehr, dass dieses Buch die überfällige Diskussion ins Rollen bringen kann und das Thema Depression endlich normalisiert - das Potenzial hat es auf jeden Fall. Von mir gibt es eine klare Leseempfehlung!