Rezension

Für Fans von Pretty Little Liars und Co. absolut lesenswert

One of us is lying - Karen M. McManus

One of us is lying
von Karen M. McManus

Bewertet mit 4.5 Sternen

Inhalt
Was haben eine Musterschülerin, eine Homecoming-Queen, ein Sport-Ass und ein Drogendealer gemeinsam? Sie alle landen zusammen am 24. September beim Nachsitzen. Sie alle stehen in Verdacht, Simon, den fünften Schüler beim Nachsitzen, ermordet zu haben. Sie alle haben ein Motiv: Simon hatte vor, am nächsten Tag einen Post über Bronwyn, Addy, Nate und Cooper über seine Gossip-App zu veröffentlichen, der ihre dunkelsten Geheimnisse ans Licht bringt. Wer von ihnen war so verzweifelt, dass er Simon für immer zum Schweigen bringen wollte? Oder stecken sie alle unter einer Decke?

Meinung
Was mich an diesem Roman - abgesehen vom Cover - sofort angesprochen hat, war das Ausgangsszenario. Die gelieferten Eckdaten machen sofort neugierig: ein Opfer, vier Verdächtige, mehr Fragen als Antworten und jede Menge Geheimnisse und das alles eingebettet in einen Highschool-Kontext. Ich persönlich liebe solche Jugend-Thriller, weil sie für mich die perfekte Balance aus rätselhaften bzw. bedrohlichen Ereignissen und alltäglichen Problemen bieten und das wurde hier auch ohne Frage umgesetzt. Die mysteriöse Handlung regt zum Miträtseln an, da die Informationen richtig dosiert sind, hin und wieder geraten die Protagonisten in eine heikle Situation, durch die ihre Zukunft gefährdet wird, und dennoch bleiben die privaten Problemchen (Familie, Freunde, Liebe, Schule) nicht außen vor. Der Nervenkitzel hält sich durch diesen Ausgleich eher auf einem (für mich angenehmen) moderaten Level, bei dem keine Langeweile aufkam - für alle Hardcore-Thriller-/Krimi-Junkies könnten den Roman wahrscheinlich eher als lasch empfinden.
Die Leitfragen des Romans betreffen zum einen den Tathergang und die Identität des Mörders. Zum anderen stehen aber auch die Geheimnisse der Hauptfiguren im Fokus, die jedem ein Tatmotiv geben. Bei Bronwyn und Addy war relativ schnell klar, was sie zu verbergen haben, bei Cooper hat es allerdings sehr lange bis zur Auflösung gedauert. Ich hatte diesbezüglich eine Vermutung, sodass ich mich entsprechend gefreut habe, als sie sich bestätigt hat.  Die Geheimnisse haben noch zusätzlich zur Dramatik beigetragen. Nicht ganz nachvollziehen konnte ich, warum die Ermittler diese Geheimnisse als so gravierend eingestuft haben, dass jemand zum Mord bereit wäre, damit sie nicht an die Öffentlichkeit geraten. Andererseits gibt es auch genügend Amokläufe an Schulen, die das Gegenteil beweisen. Aber auch unabhängig davon war die Polizeiarbeit alles andere als einwandfrei. Das wirft wiederum die Frage auf, wie gut unser Rechtssystem überhaupt funktioniert, wenn bei mangelhafter Beweisführung Unschuldige dennoch verurteilt werden können.
McManus erzählt aber nicht nur die Geschichte eines Verbrechens, sondern adressiert eine weitere Problematik: das Eindringen in die Privatssphäre anderer Leute. Schon bei Personen, die in der Öffentlichkeit stehen, ist das ein großer Streitpunkt, bei Highschool-Schülern ist es meines Erachtens noch einen Tick verwerflicher, da Publicity kein Aspekt ihrer Karriere ist und sie sich ohnehin schon in einer unsicheren Lebensphase befinden - da muss man nicht auch noch ihre Fehltritte ausschlachten. Ich gebe zu, dass ich selber zu Schulzeiten sehr an Klatsch und Tratsch interessiert war, heute stehe ich dem jedoch skeptischer gegenüber. Was gibt anderen Leuten das Recht, sich in das Privatleben von Mitmenschen einzumischen, zu denen sie kein enges Verhältnis haben, vor allem, wenn sie diese Informationen nicht freiwillig preisgeben? Und was für ein Mensch muss man sein, dass man Freude daran hat, andere zu Fall zu bringen und öffentlich zu demütigen? Genau das löst den inneren Konflikt aus, mit dem alle Schüler (und bisweilen auch die Leser) zu kämpfen haben: Sie sind über Simons tragischen Tod entsetzt -  aber auch erleichtert, denn Simon war nicht gerade ein Unschuldslamm. Seine Gossip-App ist grausam und verletzend. Im Grunde ist sie nichts anderes als ein Instrument zur Rufschädigung und zum Cyber-Mobbing, mit der er zum Teil Leben zerstört hat. Es ist leicht, Simon deswegen zu hassen, aber hat er deswegen den Tod verdient? Hat das überhaupt irgendjemand? Genau wegen dieser Themen bzw. Fragen - Wo zieht man die Grenze zwischen Recht und Unrecht, Wahrheit und Lüge? Wie viel und was darf man preisgeben? Wer darf über andere ein moralisches Urteil fällen? Wer darf über Leben und Tod entscheiden? - war das Buch (abgesehen von den oben genannten Gründen) auch so lesenswert für mich. Es hat vielleicht nicht die Antwort auf all diese Fragen parat, aber es animiert dazu, selbst nach einer zu suchen. Und wenn man eins in der heutigen Zeit nicht verlernen sollte, dann ist es, selbst zu denken, oder?
Was nun die Charaktere betrifft, war ich anfangs wenig überzeugt, da sie dort noch Stereotype (die Streberin, der Sportler, die Schönheit und der Außenseiter, der nur Ärger macht) verkörpern. Davon sollte man sich aber nicht abschrecken lassen. Im Laufe der Handlung arbeitet man sich allmählich durch ihre äußeren Schichten vor und stößt auf komplexere, aber liebenswerte Persönlichkeiten. Dass die Charakterisierungen soweit realistisch sind, sei jetzt mal so dahingestellt. Ich fand alle vier Verdächtigen jedenfalls gleichermaßen interessant und konnte mich mit allen in unterschiedlichem Umfang identifizieren. Ihre Subplots sind mir alle nahe gegangen, da sie nicht nur mit den polizeilichen Verhören, sondern auch noch mit sozialer Ächtung zu kämpfen haben. Vor allem der Perspektivenwechsel zwischen den vieren hat dabei geholfen, sich in die Figuren einzufühlen und mit ihnen zu sympathisieren. Ich gehe an der Stelle bezüglich der individuellen Stärken und Schwächen nicht in die Tiefe, aber ich für meinen Teil fand die jeweiligen Gesamtpakete stimmig und sie harmonierten im Rahmen der Story gut miteinander.

Fazit
Das Konzept ist wie für mich gemacht, denn der zu lösende Kriminalfall und der typische Teenager-Alltag haben sich die Waage gehalten, was für mich als Gelegenheits-Krimi/Thriller-Leserin perfekt war. Man könnte es wahrscheinlich als "Breakfast Club meets Pretty Little Liars" umschreiben: sehr unterschiedliche Personen werden zu den zentralen Akteuren in einer rätselhaften, spannenden und bisweilen auch unterhaltsamen Geschichte. Gleichzeitig regt McManus aber zu Diskussionen an und übt unterschwellig Sozialkritik. Für mich eine gelunge Kombo.

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