Rezension

Fürchte das Nichts

Aufzeichnungen eines Serienmörders - Young-Ha Kim

Aufzeichnungen eines Serienmörders
von Young-Ha Kim

Der 70-jährige Byongsu Kim war vor seiner Pensionierung Tierarzt. Doch die Veterinärmedizin war nicht seine einzige Berufung. Vor 25 Jahren hat er seine Laufbahn als Serienmörder beendet. Nun leidet der alte Mann an Alzheimer. Er führt ein Tagebuch gegen das Vergessen. Während die Welt, wie Byongsu Kim sie kannte, immer mehr verschwindet, taucht ein neuer Killer auf, dessen Vorgehensweise seinem ehemaligen modus operandi ähnelt. Der demente Serienmörder ist davon überzeugt, dass der Nachahmer es auf seine Tochter abgesehen hat.

Young-ha Kim zählt zu den bekanntesten Autoren Südkoreas. Sein kleiner Roman „Aufzeichnungen eines Serienmörders“ ist im Original schon 2013 erschienen. Der Cass-Verlag hat dieses Juwel nun in deutscher Sprache verlegt.

„Meinen letzten Mord habe ich vor fünfundzwanzig Jahren begangen. Oder waren es sechsundzwanzig?“

Das sind die ersten Zeilen eines ganz ungewöhnlichen Romans, die Aufzeichnungen eines alten Mannes der an Alzheimer leidet, eines Mannes der vor vielen Jahren eine Serienmörder war und dessen letzte Aufgabe sein wird zu verhindern, dass seine Tochter von einem Nachahmer ermordet wird.

Niemand würde hinter der Fassade des 70-jährigen ein bösartiges Monster vermuten. Byongsu Kim ist gebildet, spielt Schach, zitiert Nietzsche, liest und schreibt selber Gedichte.

„Das Gefühl Gedichte zu schreiben, die niemand liest, und das Gefühl, Morde zu begehen, von denen man niemandem erzählen kann, sind sich nicht unähnlich.“

Byongsu Kims Aufzeichnungen folgen keiner Chronologie. Mal sind es Erwähnungen kleiner alltäglicher Verrichtungen, mal kleine philosophische Betrachtungen und Reminiszenzen seiner (un)rühmlichen Vergangenheit. Den Tod fürchtet er nicht, das Vergessen kann er nicht aufhalten. Mit einem Zitat von Nietzsche trifft Kim (der Tierarzt? der Autor?) genau ins Mark:

„…es giebt keinen Teufel und keine Hölle. Deine Seele wird noch schneller todt sein als dein Leib: fürchte nun Nichts mehr!“

Das Nichts zu fürchten, nicht erst im Tod, sondern schon im Vergessen. Genau das ist Alzheimer!

Wenn der Ich-Erzähler dement ist, kann man davon ausgehen, dass er ein äußerst unzuverlässiger Erzähler ist. So kommt es auch, dass nichts, gar nichts so ist, wie es scheint. Nicht auf den ersten Blick, auch nicht auf den zweiten.

Schon bei der Gestaltung des Covers lohnt es sich einen Blick unter den Schutzumschlag zu machen. Auch bei der sonstigen Aufmachung des gerade einmal 152 Seiten starken Büchleins hat sich jemand wirklich viel einfallen lassen. Verblassende Seitenzahlen verdeutlichen das immer schneller ansteigende Verblassen der Erinnerungen.

„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ ist ein böser, lakonisch, scharfsinniger Text gespickt mit ziseliertem schwarzem Humor. Die Botschaft: Über das Leben nachzudenken, bevor es entschwindet

„Beängstigend ist nicht das Böse, sondern die Zeit. Denn gegen die sind wir alle machtlos“, steht es gegen Ende geschrieben.