Rezension

Fürs Vaterland

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019 - C. L. Polk

Witchmark. World Fantasy Award für den besten Fantasy-Roman des Jahres 2019
von C. L. Polk

Bewertet mit 3.5 Sternen

Magische Welten können schrecklich und grausam sein. Aber in der Regel ist es eine Grausamkeit, die mit der Wirklichkeit wenig zu tun hat. Wie in einem Schauerroman - es gruselt dich, aber du genießt auch die Spannung und die Sicherheit deines Wohnzimmers, eingehüllt in deine Kuscheldecke. Wenn im finalen Kampf der guten Magier gegen die bösen Zauberer die magischen Blitze zucken und die Druckwellen der Zaubersprüche aufeinanderprallen, stellst du dir vor, wie es wäre selbst magische Fähigkeiten zu haben und damit die Welt zu retten.

C. L. Polks Debütroman Witchmark fällt aus dem üblichen Fantasysetting heraus. Die Welt im Buch ist ganz anders als unsere Gegenwart, hat aber große Ähnlichkeit mit unserer Welt vor hundert Jahren. Im Reich Aeland gibt es offiziell keine Magie, sondern man hat sich dem technischen Fortschritt verschrieben. Mit dem Stoff Aether gibt es Licht auf Knopfdruck, es betreibt Geräte, die einem Musik und Nachrichten zum Hören ins Haus bringen und kann sogar Gefährte antreiben ganz ohne vorgespannte Pferdestärken. Der Großteil der Bevölkerung ist allerdings auf dem Fahrrad unterwegs, in der Stadt sogar in regelrechten Schwärmen mit ausgeklügelter Zeichensprache und Rückspiegeln an den Lenkern. Die Gesellschaft am Beginn der industriellen Revolution und was in unserer Welt damals zu einem Weltkrieg führte, bleibt auch in Miles Singers Welt nicht aus. Seit Jahren bekriegt sich Aeland mit dem Nachbarland und scheint nun siegreich den Kriegsschluss vorzubereiten. Miles hat diesen fürchterlichen Krieg an der Front selbst miterlebt, hat sich beim Militär zum Arzt ausbilden lassen und arbeitet nun in einem Krankenhaus in der psychiatrischen Abteilung. Die Veteranen, die er behandelt, zeigen fast alle die gleichen merkwürdigen persönlichkeitsverändernden Symptome und es kursieren Geschichten über Rückkehrer aus dem Krieg, die heimgekehrt ins vertraute Zuhause plötzlich ihre Familien abschlachten. Irgendetwas stimmt ganz und gar nicht und eines Abends bringt ein geheimnisvoller Fremde eine offensichtlich vergifteten Mann ins Krankenhaus, der nach Miles verlangt und seinen richtigen Namen kennt. Denn Miles hat magische Kräfte, von denen niemand wissen darf. Aeland hat ein großes Geheimnis, in das nur die adligen und mächtigen Familien eingeweiht sind. Sie alle haben magische Fähigkeiten. Doch die unter ihnen, die den Sturm besingen können, haben die eigentliche Macht des Reiches und alle anderen Magier müssen ihnen mit ihrer Kraft dienen. Diesem Schicksal wollte Miles entfliehen. Er ist ein Heiler und will den Menschen dienen, nicht allein seiner Schwester, die das Wetter bestimmt und die zerstörerischen Stürme von Aeland fern hält. Nun stirbt ein heimlicher Magier in seinen Armen und ein Fremder will mit ihm das Rätsel seines Todes lösen. Zusammen sind sie einer großen Verschwörung auf der Spur, die ganz Aeland zerstören könnte.

Die Grundstory ist natürlich keine Innovation. Eine kleine Handvoll edler Gemüter kämpfen gegen das Böse, entdecken eine große Bedrohung und sind bereit sich zum Wohle der Menschheit zu opfern. Ein bisschen Herzschmerz und Liebelei darf selbstverständlich nicht fehlen und dazu noch ein gewisser zeitlicher Druck, um die Handlung zu beschleunigen und die Spannung hoch zu halten. Über die Handlung hinaus hat mich allerdings die Szenerie nachhaltig verblüfft und beeindruckt. In meinem Kopf verknüpften sich beim Lesen die Bilder des 1. Weltkrieges mit den Kriegsbeschreibungen des Romans und bringen unwillkürlich eine historische Ebene in diese Fantasygeschichte, gestützt durch die Lebenswirklichkeit der Figuren, die unserer Welt um 1900 sehr nah kommt. Dennoch ist die Welt fremd genug, um meinem Alltag zu entfliehen.

Mir gefällt die Bodenständigkeit der Magie in diesem Buch. Sie fügt sich wie selbstverständlich in den Alltag ein, dient auf dem ersten Blick tatsächlich dem Gemeinwohl und dem Fortschritt. Vielleicht haben sich unsere Vorfahren vor über hundert Jahren auch so gefühlt, als läge Zauberei in der Luft. Plötzlich gab es elektrisches Licht aus der Wand, Apparate mit denen man sich über weite Entfernungen hören und unterhalten konnte, Automobile, die schneller als Pferde unterwegs waren. Und dann gibt es noch die Komponente mit dem Totenreich, den Glauben, dass die Seelen der Verstorbenen sich an einem Ort versammeln. Ist nicht weit entfernt vom christlichen Glauben an ein Leben nach dem Tod im Himmelreich. C. L. Polk zeigt in dem Roman auf, wie wenig Abweichungen vom Bekannten es eigentlich nur braucht, um dennoch eine andere fantastische Welt zu kreieren und sich gleichzeitig abzuheben von den ewig gleichen Büchern, in denen es vor Drachen, Elfen, Zauberern, Trollen, Zwergen, Schattenwesen und Dämonen nur so wimmelt.