Rezension

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Furchtbar nah dran und doch ganz weit weg?

NSA - Nationales Sicherheits-Amt - Andreas Eschbach

NSA - Nationales Sicherheits-Amt
von Andreas Eschbach

Bewertet mit 3 Sternen

1942, mitten im zweiten Weltkrieg, wird die Familie Frank in Amsterdam und deportiert – damit beginnt der Roman. Dass es in Wirklichkeit erst zwei Jahre später so war, das macht nichts, wir haben hier ja schließlich keinen historischen Roman vorliegen. Denn auch die Geschichte hinter der Verhaftung ist im Roman ein wenig anders: nur dank des technischen Fortschritts, der absoluten staatlichen Überwachung und einem neuen Komputer-Programm, konnte dies gelingen. Komputer? Ja, die sind in diesem Szenario verbreitet.

Im Grunde handelt es sich bei dem Roman um ein typisches "Was-wäre-wenn..."-Szenario (das übrigens auch innerhalb des Romans thematisiert wird). Was wäre, wenn es zur NS-Zeit Handys gegeben hätte, Computer, Gesichtserkennungs-Software, bargeldloses Bezahlen und aus all dem eine vollkommene staatliche Überwachung? Wär hätte den Krieg gewonnen? Welche Einzelschicksale hätte es so geben können?

Nach dem Start des Romans widmet sich der Autor rund 450 (vierhundertfünfzig!) Seiten lang der Vorgeschichte der zwei Protagonisten: Helene und Eugen. Beide sind 1942 Mitarbeiter des NSA und an der Überwachung und Programmierung sowie Aufspürung von Juden beteiligt – mehr oder weniger wissend, was sie tun. Während Eugen im Rückblick als skrupelloser, widerlicher Perversling beschrieben wird, der nur um Macht auszuüben und persönliche Rachefeldzüge gegen Frauen voranzutreiben überhaupt der NS beigetreten ist (gegen Juden hat er nämlich nichts, in den Krieg will er auch nicht und die Position Deutschlands ist ihm eigentlich auch herzlich egal), wird Helene zunächst als nichtssagene graue Maus charakterisiert. Aus gutem Hause, mit einer Familie, die dem Gedankengut der NS durchaus zustimmt und auf verschiedenen Ebenen dieses unterstützt, entwickelte sie eine naiv-kindliche Abneigung dagegen – spätestens als ihre jüdische Freundin Ruth verschwindet. Irgendwann verliebt sich Helene, aber natürlich muss der junge Mann in den Krieg ziehen und so sträubt sie sich eine ganze Weile gegen die Verkupplungsversuche ihrer Eltern. Bis eines Tages der geliebte Soldat vor ihrer Haustür steht – als Deserteur. Um ihn zu schützen verstrickt (!) sie sich in Lügen, Vertuschungsaktionen und riskiert alles.

450 Seiten sind ein ganz schön großer Umfang für einen Rückblick und so hätte man sich die ein oder andere Szene sicherlich sparen können. Besonders Eugens "Werdegang" ist nichts für schwache Nerven. Als wir wieder in der Gegenwart sind, 1942, entwickeln sich ganz neue Tendenzen, die alles umstürzen könnten. Und hat es sich lange ganz schrecklich gezogen, geht dann auf einmal alles ganz schnell. Besonders in den letzten 100 Seiten überschlagen sich die Ereignisse.

Der Roman ist sehr lange sehr nah an unserem Erfahrungshorizont. Smartphones, Tracking, Gesichtserkennung, Videoüberwachung, Abhörskandale – nichts davon ist wirklich fremd. Diese Möglichkeiten in der NS-Zeit aufgezeigt zu bekommen, das erschreckt mich ganz ehrlich nicht so sehr. Dafür sind die Schrecken der NS-Zeit für mich zu groß, zu allumfassend. Diese Szenarien machen für mich kaum einen Unterschied. Der Roman ist bedrückend, die Wirklichkeit aber viel schlimmer. Bei der Lektüre ist von Anfang an klar, dass nichts gut ausgehen kann. Gäbe es ein Happy End im Buch – was würde das schon bedeuten, bei allem was passiert ist?

Das scheint sich auch der Autor zu denken und lässt in den letzten hundert Seiten noch einmal alles an Grauen, Schrecken und Dystopie heraus, was er sich ausdenken kann. Er führt die Ereignisse ins Absurde.

Der Roman lässt sich überwiegend gut lesen, fand ich. Einige Charaktere und Charaktereigenschaften sind sehr, sehr platt, außerdem bleiben so einige Fragen ungeklärt. Ohne die Leserunde hätte ich das Buch sicher nicht gelesen. Ich bereue es nicht, würde es aber nur eingeschränkt empfehlen.