Rezension

Gänsehaut

Der Mitternachtspalast - Carlos Ruiz Zafón

Der Mitternachtspalast
von Carlos Ruiz Zafón

Bewertet mit 4.5 Sternen

Nachdem uns ein noch unbekannter Erzähler im Buch begrüßt, werden wir mitten in die Geschichte geworfen: Ein Mann läuft rastlos durch das abendliche Kalkutta und versucht den Verfolgern zu entkommen, denen er zwei Säuglinge entrissen hat, um sie in Sicherheit zu bringen. Ein Fluch in menschlicher Gestalt ist hinter den Kindern her, und der Mann schafft es gerade rechtzeitig, die beiden in Sicherheit zu bringen, doch der Fluch wartet nur darauf sich zu passender Gelegenheit entfalten zu können.

Sechzehn Jahre später begegnen wir einem der beiden Kinder erneut und werden mit seinem bisherigen Leben im Waisenhaus vertraut gemacht. Wir lernen seine Freunde kennen, die eine kleine Geheimgesellschaft gegründet haben, die "Chowbar Society". Musketierisch mit „Einer für alle und alle für einen“ lässt sich die Freundschaft der Kinder am besten beschreiben. Wir begegnen der Gesellschaft dieser Kinder zu einem denkwürdigen Ereignis: Traditionell mit sechzehn Jahren werden Waisenkinder als Erwachsene in die Welt entlassen. Die Mitglieder der Chowbar Society wissen, dass sich in wenigen Tagen ihre Wege trennen werden. Doch die Ereignisse wollen es, dass die Gruppe der Kinder sich auf eine letzte gespenstische Jagd durch das geheimnisvolle Kalkutta zusammentut. Gemeinsam begeben sie sich auf eine phantastische und bisweilen gänsehautbereitende Reise, um Kalkutta von seinem tragischsten Fluch zu befreien.

So richtig Fantasy ist es nicht, aber rein Roman auch nicht. Carlos Ruiz Zafón hat mit „Der Mitternachtspalast“ eine nebulöse Gruselgeschichte geschaffen, die mich sehr in ihren Bann gezogen hat. Ganz so gruselig ist sie allerdings nicht.
Die Orte, welche sich durch Zafóns Worte enthüllen, sind prunkvoll auch in ihrem Verfall. Den Mitternachtspalast, den Bahnhof und das Anwesen des Ingenieurs hat der Autor so schön gezeichnet, dass meine Vorstellung den kraftvollen Worten nur folgen musste. Einen Kritikpunkt habe ich allerdings: Auch, wenn das Ende nicht gänzlich vorhersehbar ist, fand ich den bösen Verfolger doch recht einseitig. So sehr mich die Geschichte auch gefesselt hat, fand ich die Auftritte dieser dunklen Figur zu wenig bedrohlich. Der Bösewicht kommt nicht gut an, der seine Pläne in epischer Breite vor seinen Widersachern ausbreitet, seinen Worten aber nicht die Taten folgen lässt, die seiner Macht Wahrheit zollen. Nichts desto trotz eine wunderbare Geschichte!