Rezension

Diese Rezension enthält Spoiler. Klicken, um alle Spoiler auf dieser Seite lesbar zu schalten.

Ganz klein und ganz groß

No und ich - Delphine de Vigan

No und ich
von Delphine de Vigan

Bewertet mit 4.5 Sternen

Die 13-jährige Lou ist hochbegabt und hat zwei Klassen übersprungen – jetzt ist sie die kleinste und klügste Schülerin einer Klasse, in der alle anderen schon mitten in der Pubertät angekommen sind. Der Gedanke an ein Refarat über Obdachlosigkeit versetzt sie zunächst in Panik; aber dann beginnt sie, sich mit der 18jähringen No zu treffen und sie zu ihrem Leben auf der Straße zu befragen. Zwischen den beiden ungleichen Mädchen entspannt sich eine Freundschaft.

Lou ist eine ganz zauberhafte Heldin: Sie ist furchtbar klug und naiv, schwach und stark, behütet aufgewachsen und stammt doch aus einer von Trauer gezeichneten Familie. Wie ihr Freund Lucas sagt: Sie ist ganz klein und gleichzeitig ganz groß. Ein wenig habe ich mich an Greta Thunberg erinnert gefühlt. Sie findet sich nicht damit ab, dass No nicht zu helfen ist, und setzt alles daran, sie zu retten. Eine Weile sieht es sogar ganz gut aus, und auch No gibt alles, um sich ein neues Leben zu erobern – bis ihr endgültig der Boden unter den Füßen weggerissen wird.

Am Ende wird im Grunde klar, dass sie kaum je eine Chance hatte. Die Umstände ihrer Zeugung und Kindheit, die Gewalt, die ihr immer wieder von Männern angetan wird, zerstören sie und nehmen ihr alle Hoffnung, die die schlaue kleine Lou gesät hat.

Ein sehr trauriges Buch darüber, dass Freundschaft und Liebe nicht jeden retten können und sich auch nicht jeder selbst retten kann, das gleichzeitig sehr schön geschrieben ist und nur selten ins pathetische abrutscht. Das Ende fand ich sehr hoffnungslos; aber so ist es wohl realistischer.