Rezension

Ganz nah

Der Sturz des Doppeladlers - Birgit Mosser

Der Sturz des Doppeladlers
von Birgit Mosser

Bewertet mit 5 Sternen

Wir alle kennen den österreichischen Monarchen Franz Joseph aus den Sissi Filmen und den Biographien rund um die Familie Habsburg.

Als Franz im November 1916 stirbt, beginnt Birgit Mossers mitreißender Roman über den Untergang der großen Monarchie Österreich-Ungarn.

Wir bekommen detailgetreue und authentische historische Einblicke in vier Familien aus verschiedenen sozialen Schichten, die alle zwar unterschiedlich aber jede massiv unter den den furchtbaren Konsequenzen des erbitterten ersten Weltkrieges leiden, der sich mittlerweile im dritten Jahr befindet. Es mangelt an Lebensmitteln und Brennstoff. Kaffee gibt es nicht mehr. Stattdessen wird ein unbekömmlicher Sud aus Eicheln oder Kastanien aufgebrüht, den eigentlich kein Mensch trinken kann. Brot wurde mit Sägemehl gestreckt. Ich glaube, dass hat mich neben den grausigen körperlichen und seelischen Verletzungen, die Frau Mosser sehr eindringlich schildert, am meisten entsetzt. 

Die Menschen hungern und frieren. Wer Glück hat und zur Dienerschaft einer der reicheren Wiener Familien gehört, kann einen einfachen Lebensstandard einigermaßen aufrecht erhalten. So auch die sympathische Berta Sogl, die dann jedoch ungewollt schwanger und von ihrer Hausherrin prompt vor die Tür gesetzt wird. Ledige Mütter haben es in der konservativen Gesellschaft wahnsinnig schwer. Für Berta beginnt ein harter Kampf um Brot und Geld. 
An der Front ist die Versorgung ebenso schlecht. Grausige Szenen, Desertation und  Gefangenschaft sind die Folge der strauchelnden Monarchie. Österreich wird soweit gedemütigt, bis nur noch ein winziger Staat übrig ist.  

Birgit Mosser beschreibt berührend die schweren Schicksalsschläge und Entbehrungen ohne dabei umständlich zu wirken, so dass man sich ganz nah im Geschehen sieht. Trotz aller Tragödien war es schön, manches Glück der Menschen in dieser prägenden Zeit mit zu erleben. Die Autorin lässt “kleine Glücke”, in einer Epoche, in der nichts mehr selbstverständlich ist, zu etwas Essentiellem werden. 

Ein Buch, das gerade heute aktuell ist, neben aller Fiktion geschichtliches Wissen vermittelt und gelesen werden will.
Ich empfehle vorherige Infos über die Sachverhalte des 1. Weltkrieges und Österreich-Ungarn, um alle Zusammenhänge zu verstehen und den Inhalt bis zum Schluss auszukosten.