Rezension

Ganz nett für die angesprochene Generation, aber stark auf Akademikerkinder ausgelegt

Wir haben keine Angst - Nina Pauer

Wir haben keine Angst
von Nina Pauer

Bewertet mit 3 Sternen

Ich hatte eine Leseprobe zu dem Buch in den Fingern, es handelte sich hierbei um den Prolog des Buches, und ich fühlte mich angesprochen. Nina Pauer ist der (fast) gleiche Jahrgang wie ich, und in vielen Dingen fühlte ich mich durchaus angesprochen und ertappt. Allerdings gab es ein paar Dinge, die mich gestört haben. V. a. der Fakt, dass dieses Buch ganz eindeutig für Akademiker und Akademikerkinder geschrieben wurde. Die beiden Protagonisten, die für die zwei gänzlich gegensätzlichen Stereotypen "Karrierefrau" und "Gammelstudent" herhalten, stammen aus gut situierten Familien, die ihnen den finanziellen Rückhalt bieten können, um tun und lassen zu können, was sie wollen. Gut, Anna verdient ja selbst genug, aber Bastian ist der Gammelstudent, der zu nichts Lust hat und seinen Hintern nicht hochbekommt. Gerade beim Kapitel "Arbeit" kam mir die Existenzangst zu kurz. Was mache ich, wenn ich NICHT, wie Frau Pauer uns allen unterstellt, mit einer - ich zitiere - "Flatrate für Essens-, Kleidungs-, Wohnungs-, Transport- und Ausbildungskosten sowie sämtliche andere Ausgaben, die so anfallen" auf die Welt gekommen bin? Klar, wir werden alle in Familien hineingeboren, wo die Eltern so gut verdienen, dass wir uns selbst als Langzeitarbeitslose keine Gedanken um unsere Existenz machen müssen! Diese Unterstellung hat mich sehr gestört. Ich bin Akademikerin, also die Zielgruppe, die wohl angesprochen werden soll. Aber ich bin auch Arbeiterkind, das sich alles alleine irgendwie finanziert hat und ohne Arbeit ein ECHTES Problem hat, denn zu Mama und Papa rennen und die Hand aufhalten geht leider nicht.

Vielleicht ist Frau Pauer davon ausgegangen, dass nur hochgebildete Akademiker und Studenten aus wohlhabenden Familien ihr Buch in die Hand nehmen. Vielleicht wollte sie damit ein bisschen natürliche Auslese betreiben. Vielleicht ist sie in dem Glauben aufgewachsen, dass es jeder so gut hat wie sie. (Bei dieser Selbstverständlichkeit der finanziellen Freiheit gehe ich davon aus, dass Frau Pauer von den Eltern finanziert wurde.) Und natürlich, ich sehe ein, dass man nicht jedem Menschen, nicht jeder sozialen Schicht, nicht jeder Situation gerecht werden kann. Aber zu Frau Pauers und meiner Generation gehören nicht nur Akademiker. Dieses Buch könnte ich keinem meiner Nicht-Akademikerfreunde ans Herz legen, sie könnten schlicht kaum etwas damit anfangen. Deshalb fand ich die beiden Protagonisten, die ja nunmal den Großteil des Buches ausmachen, unglücklich gewählt. Und auch einige Anmerkungen wie z. B. die oben erwähnte Flatrate.

Das Buch hat mich etwas ratlos zurückgelassen. Vielleicht bin ich - als Arbeiterkind - einfach zu dämlich oder denkfaul, um für mich ein wertvolles Resümee ziehen zu können. Es ist unterhaltsam, das durchaus, aber ich hatte danach nicht das Gefühl, dass mir das Buch irgendetwas gegeben hätte. Es gibt die Geschichte von Anna und Bastian, die ich spannender fand als das Blablabla der Autorin dazwischen. Aber die beiden Figuren waren fiktiv, da kann man sich auch einen Roman durchlesen. Vielleicht hatte ich auch einfach zu hohe Ansprüche, hatte zu viel erwartet auf Grund des reißerischen Untertitels "Gruppentherapie einer Generation". Ich fühle mich nicht therapiert, besser verstanden oder nicht mehr so allein gelassen nach der Lektüre dieses Buches. Schade, da wurde meiner Meinung nach Potential verschenkt.

3 Sterne, weil das Buch an und für sich durchaus unterhaltsam ist dank der beiden fiktiven Protagonisten.