Rezension

Ganz stark!

Wohin rollst du, Äpfelchen… - Leo Perutz

Wohin rollst du, Äpfelchen…
von Leo Perutz

Bewertet mit 5 Sternen

Inhalt: Eine groteske Verfolgungsjagd, die einen ehemaligen Offizier kurz nach dem 1. Weltkrieg quer durch Europa führt. 'Das Wort Genie hat längst durch Missbrauch an Wert und Sinn verloren, sonst hätte ich das Buch als einfach genial bezeichnet.' (Ian Fleming, Schöpfer von James Bond, in einem Brief 1931 an Leo Perutz) Wien 1918/19.

Der einstige Offizier Georg Vittorin kann die Demütigung nicht vergessen, die er als Kriegsgefangener von dem russischen Lagerkommandanten Seljukow erdulden musste, und beschließt, als Rächer nach Russland zurückzukehren. Eine dramatische Verfolgungsjagd beginnt, die ihn durch die Sowjetunion, nach Konstantinopel, Mailand, Paris und weiter treibt, bis es schließlich zu dem erhofften 'Duell ohne Zeugen' kommt.  (Quelle: lovelybooks)

Vor der Rezension: In Klassik Edition stelle ich euch Rezensionen zu etwas anderen Büchern vor. Bücher, die ich vielleicht im Zuge der Uni gelesen habe, vielleicht auch ein bisschen out-of-comfort privat und die eine Rezension wert sind. Ich spreche von Büchern, die viele unter euch als nervige Schullektüre bezeichnen würden. Mit der Ausnahme, dass die Bücher, die ich hier bespreche teilweise auch weg gehen von dem Lektürekanon. Ich möchte euch mit diesen Rezensionen zeigen, dass Klassiker auch toll sein können und da besondere Bücher auch besondere Rezensionen erfordern, werde ich die Rezensionen der Klassik Edition anders aufbauen als alle anderen. Schreibstil und Co sind bei diesen Büchern nicht wichtig. Der ist eh anders und meistens gewöhnungsbedürftig. Nein, ich möchte Literatur solcher Art kontextualisieren und weg gehen von „Was will der Autor uns damit sagen?“. Und wer weiß, vielleicht kann ich euch ja sogar dazu animieren den einen oder anderen Klassiker zu lesen und zu lieben.

Meine Meinung: Leo Perutz. So heißt eines meiner Seminare in diesem Semester und außerdem ein längst vergessener Schriftsteller. Im Zuge dieses Seminars lesen wir ganze drei Bücher von Perutz und Wohin rollst du Äpfelchen? war das erste. Leo Perutz ist ein österreichischer Exilautor. Als solcher wird er immer bezeichnet. Und es stimmt auch, dass Perutz Österreicher ist und er ist Autor. Das lustige ist allerdings, dass er während seines Exils in Tel Aviv gar nichts mehr geschrieben hat sondern tatsächlich nur in der Zeit davor. Aber das nur so nebenbei.

Wohin rollst du Äpfelchen? Das ist ein ziemlich komischer Name für ein Buch. Dennoch ist er fest in dem Buch verankert und beim Lesen erfasst man nach und nach die Bedeutung dieser Überschrift. Dieser Roman ist ein Heimkehrerroman, ein Roman über die sogenannte Gespensterzeit in Wien, während der viele Soldaten aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause kehrten. So schafft Perutz mit Wohin rollst du Äpfelchen? ein wichtiges Zeitzeugnis, dass die schwere Phase nach dem ersten Weltkrieg beschreibt und auch noch einmal deutlich macht, dass dieser in Russland noch längst nicht vorbei ist. Auch Vittorin war in Kriegsgefangenschaft und kehrt 1918 mit drei weiteren Zimmergenossen zurück nach Österreich. Dort angekommen kommen sie alle wieder in ihrem Alltag an und können die schlimme Zeit nach und nach verarbeiten. Auch Vittorin wird herzlich von seiner Familie und seiner Freundin Franzi wieder aufgenommen. Bald schon ergeben sich für ihn interessante Möglichkeiten. Aber seine Vergangenheit lässt ihn nicht los und er schwört auf Rache. Sein Ziel ist der ehemalige Lagerkommandant Seljukow. Ob das, was Vittorin erlebt ein Trauma ist oder nicht, das lässt sich diskutieren und ist eine interessante Fragestellung im Buch. Aber auch diese nicht ganz so ferne Welt des alten Russlands, die Kriege zwischen Rot und Weiß, zwischen Bolschewiki und Menschewiki ist uns doch eher unbekannt und gibt uns erschreckende und interessante Einblicke in diese Welt. Was dann folgt ist eine Verfolgungsjagd durch ganz Europa, viel Unterhaltung aber auch vieles, was es zu hinterfragen gibt. Vittorin ist ein Antiheld und auch das Ende ist sehr stimmig und rundet die ganze Erzählung überraschend und passend ab.

Ich spreche hier so hochgestochen von dem Buch. Doch eigentlich ist es nur Unterhaltungsliteratur und auch Leo Perutz hatte nie etwas anderes im Sinn. Denn genau das war es, was Wiener zu dieser Zeit hören und lesen wollten. Ablenkung, Theater, Kaffeehaus. Und so erfreute sich Perutz damals großer Bekanntheit und wurde leider ebenso schnell wieder vergessen. Ich persönlich finde das sehr schade denn er liefert gleichzeitig Unterhaltung und Zeitzeugnis. Genau die beiden Dinge erfreuen sich heute noch hoher Aktualität und es ist sehr schade, dass ein Autor wie Perutz in Vergessenheit geraten ist.  Ich freue mich schon sehr auf die beiden weiteren Bücher des Autors und bin mir sicher, dass seine anderen Werke auch bald folgen werden. Der Roman war eine wirkliche Überraschung und somit auch irgendwie ein kleines Highlight. Umso erstaunter war ich, als unsere Dozentin uns verriet, dass dieser Roman von Kritikern als Perutz‘ schwächster eingestuft wird.

Bewertung: Wie schon häufiger erwähnt, bin ich ja eigentlich gegen das Bewerten von Klassikern. Aber wie immer möchte ich das nun trotzdem tun, da ich euch eine grobe Richtlinie geben will, was ich von dem Buch halte. Wohin rollst du Äpfelchen? bekommt von mir verdiente 5 von 5 Füchschen und ist ein wundervoller Unterhaltungsroman, der noch dazu über die Heimkehrerproblematik informiert. Wenn ihr Lust habt auf Abenteuer und auf eine anspruchsvolle Unterhaltungslektüre solltet ihr unbedingt mal zum Buch greifen.