Rezension

Ganz wunderbare Geschichte über Familie, Vorwürfe und Verzeihen

Die Sicht der Dinge - Jiro Taniguchi

Die Sicht der Dinge
von Jiro Taniguchi

Bewertet mit 5 Sternen

Bei dieser Graphic Novel liegt die Betonung für mich definitiv auf dem „Novel“. Denn bei dieser tollen Geschichte, waren die Bilder fast schon Nebensache. Die klaren, detaillierten Zeichnungen mit leichtem Manga-Touch passen perfekt zur ruhig erzählten Geschichte um Yoichi und seine Familie. Dieser hat seine Familie schon seit über 14 Jahre nicht mehr besucht, als sein Vater unerwartet stirbt. Gegen den hegt er seit der Trennung seiner Eltern einen Groll, den er eigentlich gar nicht richtig benennen kann. Auf der Trauerfeier, zu der er endlich wieder in seine Heimatstadt reist, erfährt er die Geschichte seines Vaters und die der Trennung seiner Eltern erstmals aus einer ganz anderen Perspektive. Langsam beginnt er nun, seinen Vater zu verstehen.

In Die Sicht der Dinge erzählt Jiro Taniguchi eine traurige und berührende Geschichte ohne auch nur das kleinste bisschen ins Kitschige abzurutschen. Ich hätte gedacht, die Geschichte wäre weit autobiografischer, als sie letztlich ist. Aber Taniguchi bringt die Gefühle und den Konflikt seines Hauptcharakters und Ich-Erzählers Yoichi so realistisch rüber, dass es erstaunlich ist, dass er all das nicht selbst erlebt hat. Ohne erhobenen Zeigefinger und mit viel Einfühlungsvermögen lässt er Yoichi seine Fehler und die seiner Eltern begreifen. Erinnerungen müssen revidiert werden und über Jahre festgefahrene Ansichten wandeln sich plötzlich. Um seine liebevolle Familie kann man Yoichi dabei fast ein wenig beneiden. Auch die Umsetzung der Geschichte mit einem Wechsel zwischen der Trauerfeier, Yoichis Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend und der Sicht seiner Schwester oder seines Onkels auf die damaligen Ereignisse, war sehr stimmig und hat mir gut gefallen.

Ich habe an Die Sicht der Dinge nichts auszusetzen. Selbst das Format des Paperbacks ist beim lesen total angenehm. Die Geschichte ist rund, gelassen, fast schon melancholisch erzählt und hat mir mehrmals einen dicken Klos im Hals beschert. Taniguchi hat die Themen Familie und das Verhältnis von Vater und Sohn spannend und klug umgesetzt. Definitiv sehr lesenswert!