Rezension

Gar nicht so krass

Krass -

Krass
von Martin Mosebach

Bewertet mit 3 Sternen

Ralph Krass ist - auf den ersten Blick - eine eindrucksvolle Erscheinung. Selbstbewusst und souverän in jeder noch so heiklen Situation. Zweifel kennt er nicht, Widerspruch duldet er nicht. Alles dreht sich um ihn. Er ist der Mittelpunkt, alle anderen Menschen nur schmückendes Beiwerk, die er wie Schachfiguren beliebig verschiebt. Dabei ist er letztlich nicht mehr als ein Blender. Man fragt sich unwillkürlich, wie lange er dieses Bild aufrecht erhalten kann?

Das Buch ist in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil erlebt der Lese Ralph Krass auf dem Höhepunkt seiner "Schaffenskraft". Gemeinsam mit einer Gruppe ausgewählter Gefährten bereist er Neapel und Capri. Dort lernt er die junge Lidewine kennen. Er lädt sie ein, nein vielmehr befiehlt er fast schon,  sich der Reisegruppe anzuschließen. Er überhäuft die junge Frau mit teuren Geschenken. Geld spielt keine Rolle. Höher. schneller, größer, opulenter - Geld spielt keine Rolle. Bei Ralph Krass ist alles möglich.
Im zweiten Teil geht es dann um KRass' ehemaligen Assistenten Matthias Jüngel. Dieser war Zeit seines Angestelltenverhältnisses seinem Vorgesetzten treu und äußerst loyal ergeben. Stand immer als hilfreicher und diskreter Helfer zur Verfügung. Sein Requisit: der immer gut gefüllte Koffer mit Bargeld. Doch Jüngel ist ein schwächerer Charakter als Krass und so hadert er immer wieder mit seinen Aufträgen, dem dargebotenen Verhalten seinem Chef gegenüber und ist manchmal sichtlich überfordert. Und doch ist er nicht ganz neidlos - und möchte ein wenig so sein wie Ralph Krass. Doch das ist nun vorbei. Ralph Krass und die Zeit in Neapel sind Geschichte. In der Abgeschiedenheit Frankreichs versucht Jüngel dem Geheimnis Ralph Krass für sich und seine offenen Fragen auf den Grund zu gehen.
Im dritten Teil erlebt der Lese dann einen völlig anderen Ralph Krass. Vorbei sind die goldenen Zeiten, in denen ihm die Welt zu Füßen lag. Er verfällt körperlich immer mehr, lässt - völlig unmöglich möchte man denken - sein Leben von einem jungen Anwalt verwalten und phantasiert weiterhin von großen Möglichkeiten. Jüngel und Lidewinne treffen hier noch einmal auf einander und auch auf Ralph Krass.

Vom Klappentext ausgehend hatte ich mir bei "Krass" etwas anderes erwartet. Den zweiten Teil hätte ich ehrlich gesagt nicht gebraucht. Bei aller sprachlichen Rafinesse war dieser Teil für mich einfach nur furchtbar langweilig.  Jüngels Monologe über sein eigenes Unglück gingen mir mit der Zeit unheimlich auf die Nerven.
Ich habe mir "mehr" Ralph Krass" versprochen.  Wie geht ein Menschen mit einem solchen Macht- und Geltungsbedürfnis mit dem sozialen Abstieg um? Mit der Stigmatisierung? Die ganze Figur des Ralph Krass bleibt mir seltsam undeutlich und entfernt, ich kann mir bis zum Ende des Buches bei vielen seiner Handlungen keinen richtigen Eindruck zum Warum verschaffen. (Aber vielleicht ist das auch so gewollt und ich habe es nur nicht verstanden).

Es ist kein schlechtes Buch, aber es hat mich persönlich nicht aus den Socken gehauen. Es sprachlich gewaltig und an vielen Stellen auch nicht fürs nebenbei Lesen gedacht. "Krass" fordert wirklich die volle Aufmerksamkeit des Lesers.