Rezension

Geboren am 17.05. oder Paragraph 175 - Der Fall Fritz Haarmann

Haarmann - Dirk Kurbjuweit

Haarmann
von Dirk Kurbjuweit

Bewertet mit 4 Sternen

** Sicherheit, die Leute wollten Sicherheit, Ordnung. Auf den Kaiser konnten sie verzichten, die Leute, aber nicht auf die Sicherheit. **

So viel gleich vorweg, "Haarmann", der neue Roman von Dirk Kurbjuweit ist nicht jedermanns Geschmack. Auch ich habe mich anfangs eher schwer getan und es hat einige Seiten gebraucht, bis er mich so richtig fesseln konnte. 

Ich war sehr neugierig auf das Buch, weil mich das Thema "Haarmann" unheimlich interessiert und z.B. die Haarmann Protokolle und deren Verfilmung Gänsehaut bei mir ausgelöst haben. Das hat Dirk Kurbjuweit nicht geschafft. Und das liegt gar nicht mal am Schreibstil, der sehr nüchtern, distanziert ist und ohne jegliche Anführungszeichen in der wörtlichen Rede auskommt - was tatsächlich anstrengend ist. Nein, man wird einfach das Gefühl nicht ganz los, dass der Autor die Person Fritz Haarmann durch all seine anderen Themen, zu Beginn ein wenig aus den Augen verliert. Er driftet viel ins tief politische ab, es geht um die Nachwehen des 1. Weltkriegs, den Heimkehrern, um Korruption und es dreht sich immer wieder um §175 oder auch "geboren am 17.05." wie man Homosexuelle zu damaliger Zeit gern betitelt hat. Mir persönlich wurde es mit den Problemen und der Zerrissenheit des Ermittlers Lahnstein zu diesem Thema ein wenig zu viel. Es ist klar, was der Autor damit bezwecken möchte, aber das hätte es gar nicht gebraucht, um sich in Lahnstein hineinversetzen zu können. Manchmal ist weniger wirkungsvoller. 

Dirk Kurbjuweit zeichnet ein unheimlich starkes, sehr authentisches Bild der 20iger Jahre und der Leser bekommt ein Gefühl, warum jemand wie Haarmann so lange unentdeckt morden konnte. Das ist schon klasse gemacht. Und er zeigt auch ganz deutlich die Ermittlungsarbeit, die Einschränkungen durch den Versailler Vertrag, den Druck durch die Eltern der verschwundenen Jungen, durch die Presse usw. 

Zwischendurch gibt es immer wieder kurze kursive Kapitel aus der Sicht Haarmanns oder eines seiner Opfer, aber so richtig intensiv wird es hier erst im letzten Drittel. 

Fazit: Mir hat der Roman sehr gefallen, trotzdem kann ich "Haarmann" nur bedingt weiterempfehlen. Er ist mit Sicherheit für all diejenigen interessant, die den Fall einmal aus einer anderen Perspektive, mitten aus dem Zeitgeschehen der 20iger Jahre in Hannover, lesen wollen. Jemand, der einfach einen spannenden Krimi nach einer wahren Geschichte erwartet, der wird vermutlich eher enttäuscht sein.