Rezension

gefühlvoll

Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry
von Rachel Joyce

Bewertet mit 5 Sternen

Was ein einfacher Brief alles auslösen kann….
Der Leser begibt sich mit Harold Fry auf eine Reise quer durch England. Doch was für Harold als Pilgerreise begann wurde sehr schnell auch eine Reise zu sich selbst.
Sehr bildhaft wird seine Wanderung beschrieben. Nicht nur die Umgebung ist sehr plastisch, sondern vor allem lässt die Autorin den Leser an Harolds Anstrengungen und Leid teilhaben. Alles ist glaubhaft und nachvollziehbar, und man bewundert das Durchhaltevermögen, welches Harold trotz diverser Blessuren an den Tag legt.
Auf seiner Reise begegnet er vielen Menschen, die ihm und seiner Mission größtenteils bewundernd gegenüberstehen. Sie erzählen Harold ihre Geschichten, die oft sehr rührselig daherkommen. Interessant waren sie auf die eine oder andere Art immer, manchmal sogar lehrreich und animierten den Leser dadurch zum Nachdenken über das eigene Leben.
Im Verlauf der Geschichte bleibt Harold nicht allein. Immer wieder schließen sich Menschen seiner Mission an. An dieser Stelle fühlte ich mich ein wenig an „Forrest Gump“ erinnert. Auch Forrest fängt an zu laufen und findet sich plötzlich in einer Heerschar Leute wieder, mit denen ihn nichts Bleibendes verbindet. Doch das zu begreifen dauert…
Welcher Leser bisher noch nicht berührt war, der fing spätestens hier an die Emotionen nachempfinden zu können. Was vorher schon Bruchstückhaft in den bisherigen Gesprächen geschah wurde jetzt vertieft: Harold lässt sein eigenes Leben revue passieren. Ihm wird bewusst, was evtl. falsch gelaufen ist. Er beginnt zu verstehen, doch ändern kann er es nicht mehr, er kann nur versuchen es zu verarbeiten. Sehr interessant sind auch die eingeflochtenen Abschnitte von Harolds Frau. Durch seine Abwesenheit hat sie viel Zeit und denkt sehr intensiv nach. Sie lässt die Fassade fallen und auch ihre Vergangenheit zieht an ihr vorüber. Beide erkennen, dass nicht immer alles so war wie man es in Erinnerung hat. Dadurch werden Streitpunkte haltlos und Differenzen überbrückbar, aber kann man festgefahrene Strukturen einfach so aufheben?

Der angenehme, gefühlvolle Schreibstil unterstreicht den Inhalt, denn dies ist ein Buch, welches durch leise Töne besticht. Wer sich auf zwischenmenschliche Beziehungen und Probleme einlassen kann, dem wird das Buch vermutlich sehr gefallen.