Rezension

Gefühlvoll, berührend, unbedingt lesen ...

Den Mund voll ungesagter Dinge - Anne Freytag

Den Mund voll ungesagter Dinge
von Anne Freytag

Bewertet mit 5 Sternen

Sophie kann es nicht fassen, sie fühlt sich unverstanden, ungeliebt und jetzt auch noch eine neue Stadt. Ihr Vater hat nämlich beschlossen alles in Hamburg zu verkaufen und bis auf ein paar Kartons im Wagen nach München zu seiner Freundin zuziehen. Sie will keine neue Stadt, keine neue Familie und ein Vater, der sie nicht mehr sieht. Reicht es nicht, dass ihre Mutter sie direkt nach der Geburt verlassen hat, ist sie dazu bestimmt, immer einsam zu sein. Aber wenn sie was sagt, ist sie eine Spielverderberin und so muss sie sich in ihr Schicksal fügen, verkriecht sich und will in dieser heilen Welt nicht mitspielen. Liebe ist doch total überbewertet. Bis sie auf einmal beim Gassi gehen, auf das Nachbarsmädchen Alex trifft, da spürt Sophie, Interesse und den Wunsch nicht mehr einsam sein zu müssen. Sophie lässt sich zum ersten Mal völlig auf einen Menschen ein und genießt das neue Gefühl. Bis zu dieser Party, wo ein Flaschendrehspiel aus dem Ruder läuft und ein Kuss ihr Leben auf den Kopf stellt. Wen muss Sophie küssen? Und welche Auswirkungen kann ein Kuss haben?

Ein neuer Anne Freytag Roman ist da und ich total im Vorfreuderausch. Immerhin ist es ein Original Freytag und das bedeutet, Herzklopfen, kribbelnde Schmetterlinge im Bauch und anschleichende Gänsehaut, die sich wie ein Sturm ausbreitet. Bei ihren Büchern weiß man einfach vorab, dass man sie nicht nur liest, sondern direkt mitfühlt und mich, hat diese Geschichte in eine Zeitmaschine gesetzt und mich wieder als Teenager entlassen, mit all seinen Problemen, Sorgen und Nöten. So war ich dickköpfig, uneinsichtig und fühlte mich, mit dem ganzen Erwachsen werden überfordert und genau da lernt man Sophie kennen.

Wer ist schon begeistert, wenn die Eltern das eigene Leben noch mehr auf den Kopf stellen. Aus dem Team Vater und Tochter soll jetzt eine Patchworkfamilie entstehen und jeder soll damit begeistert einhergehen. Sophie findet es absolut unverschämt. Immerhin muss sie mitten im letzten Schuljahr, die Klasse wechseln, in eine neue Stadt ziehen und sich doch bitte nicht so anstellen. Aber das ist ja wohl leichter gesagt und verlangt, als umgesetzt. Sophie ist verletzt, traurig, wütend, bockig und alles ist absolut nachvollziehbar. Dazu kommt, dass sie sich unglaublich unverstanden fühlt und sehr einsam ist. Ihr bester Freund lebt in Paris und naja, Jungs wollen ja eh nur das Eine. Nicht, dass sie was gegen Jungs hätte, aber irgendwie fühlt es sich nicht richtig an. So wirbelt es in Sophies Leben und nirgendwo ein Halt oder Arme, die sie auffangen, bis Alex in ihr Leben tritt. Ich konnte mich super in Sophie hineinversetzen und sie verstehen, herausgerissen aus ihrer Umgebung und mit soviel Neuen einfach überfordert. Ihre Gefühlswelt war absolut greifbar und ihre Unsicherheiten so verständlich. Sophie spiegelt, das eigene erwachsen werden wieder und das hat mir richtig gut gefallen.

Aber es geht ja nicht nur um den Umzug, die neue Familie, die fremde Stadt oder die neue Schule, sondern um Gefühle, seinen Platz im Leben und die Suche nach dem Glück. Anne Freytag hat sich nämlich hier einem wichtigen Thema angenommen, nämlich zu sich zu stehen, Gefühle zu zulassen, auch wenn es sich im ersten Moment komisch anfühlt. Denn Sophie verliebt sich nämlich in ein Mädchen und das führt unweigerlich zu Problemen. Zuerst das eigene Unverständnis, dann die Angst, ob man nicht normal ist und wie die andere darauf reagiert. Aber das Wichtigste werden die Gefühle überhaupt erwidert, oder lebt sie in einer Traumblase. Sehr ruhig und sensibel geht hier die Autorin vor, und obwohl ich sonst nicht so der Leser von gleichgeschlechtlicher Liebe bin, war ich gefesselt, gebannt und habe sehr mit gebibbert, gelitten und gehofft. Dass mich diese Geschichte so erreichen konnte, hat natürlich mit dem Schreibtalent von Anne Freytag zu tun, denn sie schaffte es immer Gefühle so zu transportieren, das man sie einfach selber spürt.

Mit ihrem zweiten Jugendbuch legt die Autorin wieder fantastisch nach und sie scheut die schweren Themen nicht, ganz im Gegenteil, sie schildert diese so klasse, das man versteht, darüber nachdenkt und einen ganz anderen Blickwinkel bekommt. Liebe ist nun Mal ein starkes Gefühl, und wenn Anne Freytag ihre Finger im Spiel hat, wird es zu einem Mutmacher und zur besonderen Wertschätzung. Ob nun Mädchen oder Junge, ganz egal, Hauptsache man ist glücklich. Es geht nicht immer um das Geschlecht, sondern den Menschen dahinter. Eine tolle Geschichte und eine Wichtige noch dazu, steht zu euren Gefühlen und werdet glücklich, der Rest kommt von allein und habt den Mund nicht voll ungesagter Dinge, sondern sprecht es einfach aus, das Leben hat nämlich viele Überraschungen parat.