Rezension

gefühlvoller Blick in eine "andere" Welt

Draußen wartet die Welt - Nancy Grossman

Draußen wartet die Welt
von Nancy Grossman

Bewertet mit 5 Sternen

Jede Kultur hat ihre Eigenheiten. Kleiderordnung, Bräuche, Lebens- und Verhaltensweisen variieren stark und wirken auf Menschen, die sich im jeweiligen Kulturbereich nicht auskennen, oft befremdlich. Doch auch was wir für normal und alltäglich halten, ist für andere Personen möglicherweise ungewohnt, neu und ein ziemliches Abenteuer.
Eliza gehört zu der Gemeinde der Amisch und hatte bisher keine Einblicke in die moderne Welt, die um sie herum existiert. Die Regeln des abgeschiedenen Lebens sind streng, sorgen jedoch auch für ein strukturiertes Zusammenleben in den Familien und mit den Nachbarn. Für einen Sommer bekommt die 16 Jährige nun die Chance, einen Blick in die Welt „draußen“ zu werfen und startet damit das Abenteuer ihres Lebens.

Die Amisch verzichten auf viele Dinge, die Außenstehende als Vereinfachung betrachten würden. Sie haben keine Elektrizität, keine technischen Hilfsmittel, keine Telefone, keine Computer, Wäschewaschen ist aufwendig und zeitintensiv, die Beleuchtung in den Häusern spärlich, die Kleidung recht einheitlich. Was im ersten Moment unvorstellbar klingt, ist für die Gemeinde Normalität und Alltag. Mir gefällt diese Welt der Amisch sehr gut. Sie ist zwar einfach und nicht ganz unkompliziert, zeigt jedoch auch, dass die Gemeinschaft noch einen Wert hat, man gegenseitig füreinander einsteht und sich hilft. Eliza möchte ihre hart erkämpfte Chance nutzen und etwas Zeit außerhalb ihrer festen Mauern verbringen. Sie ist neugierig und will mit eigenen Augen sehen wie die „englischen“ Jugendlichen wirklich leben. Die Gegensätze, die sie kennen lernt, sind faszinierend und es ist spannend, immer tiefer in diese unterschiedlichen Welten einzutauchen. Jede Lebensform bringt Vor- und Nachteile mit sich, die man nur abschätzen kann, wenn man beide Seiten kennt.

Eliza ist eine sympathische Protagonistin, die den Leser seine eigene Welt mit ganz anderen Augen sehen lässt. Während ihres Rumspringa – so nennt man die Zeit, die die Jugendlichen außerhalb ihrer Gemeinschaft verbringen können – sieht sie das erste Mal fern, geht das erste Mal auf ein Konzert, benutzt das erste Mal ein Telefon und erlebt noch viele andere „erste Male“, von denen sie viele mit Freude erfüllen, einige jedoch auch für Unsicherheit, Traurigkeit und Wut sorgen. Als besonders spannend empfand ich ihre Sicht auf die für uns so alltäglichen Dinge, wie telefonieren und einkaufen. Während sie die Geheimnisse „unserer“ Welt entdeckt, denkt sie immer wieder an ihre Heimat und bemerkt bald, dass neu und anders nicht zwangsläufig immer auch besser bedeutet.
Besonders verbotene Dinge haben häufig ihren speziellen Reiz. Man möchte erleben, ob es wirklich so gefährlich ist, wieso die Erwachsenen davon abraten oder ob die Erfahrungsberichte der anderen wirklich zutreffen. Und auch wenn man damit manchmal auf die Nase fällt, hilft einem jede eigene Erfahrung dabei, die persönliche Meinung zu festigen und seinen Platz in der Gesellschaft und der Welt zu finden.

Der Schreibstil von Nancy Grossman ist total schön und sehr einfühlsam. Durch die Ich-Perspektive von Eliza taucht man sehr intensiv in ihre Gedanken und Gefühle ein. Ihre Erlebnisse sind detailliert und anschaulich beschrieben, wodurch es leicht möglich ist, sich vorzustellen, wie aufregend, aufwühlend und teilweise doch auch erschreckend ihre Zeit außerhalb der Amisch ist. Dinge, denen wir kaum Beachtung schenken rücken hier in den Mittelpunkt und werden für die Jugendliche zu einem echten Erlebnis. Überraschende Wendungen und unerwartete Geheimnisse sorgen für Abwechslung und Spannung in der Handlung. Ein gelungener Abschluss ist das sehr emotionale Ende, das die gesamte Geschichte noch einmal schön abrundet.

„Draußen wartet die Welt“ ist ein sehr berührendes Buch, das mich zum Schmunzeln, Weinen und Nachdenken gebracht hat. Eine gefühlvolle Geschichte, in der Charaktere und Handlung super harmonieren.