Rezension

Gegen das Vergessen

Beinahe Herbst - Marianne Kaurin

Beinahe Herbst
von Marianne Kaurin

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist beinahe Herbst in Oslo und während die junge Ilse Stern zum ersten Mal frisch verliebt ist, träumt ihre große Schwester Sonja von einem Job als Kostümschneiderin am Theater. Doch Vater Isak drücken ganz andere Sorgen, die er aber bestmöglich vor seiner Familie zurückhält. Denn es ist beinahe Herbst im Jahre 1942 und die Deutschen sind in Oslo.

Meine Meinung

Bücher, die über die Zeit des zweiten Weltkrieges erzählen, interessieren mich immer sehr. Auch der knapp gehaltene Klappentext und das hochwertige in Leinen gebundene Cover von Beinahe Herbst sprachen mich an. Das Buch erzählt die Geschichte der jüdischen Familie Stern aus Oslo. Tatsächlich muss ich hier zugeben, dass ich kaum Ahnung habe über die Zeit in den skandinavischen Ländern, was meine Neugier noch ein wenig erhöhte.
Das Buch beginnt recht harmlos und zunächst erzählt Marianne Kaurin in wechselnder Perspektive über die beiden älteren Töchter der Familie Stern, Ilse und Sonja. Beinahe fühlt es sich an, als wäre hier alles ganz normal, denn die beiden jungen Frauen haben Träume und lieben das Leben. Doch spätestens, als auch die Perspektive des Vaters Isak mit hinzukommt, spürt der Leser das Damoklesschwert, das über den Köpfen der Familie kreist. Während die Mädchen noch kaum etwas von ihren Einschränkungen merken, spürt der Vater jeden Tag mehr von dem Hass der über die Stadt gekommen ist.
Die Erzählweise der Autorin ist, zugegeben, gerade am Anfang noch ein wenig gewöhnungsbedürftig, denn sie erzählt in Gegenwart mit wenig Worten, dafür aber so klar und direkt, dass selbst das, was sie nicht ausspricht, deutlich vor dem inneren Auge zu sehen ist. Jeder von uns wird schon einmal Berichte gesehen haben und so kam es mir beinahe vor, als ich die Geschichte las. Ich sah die Grausamkeiten vor mir, spürte die Angst der Menschen und hatte Tränen in den Augen, weil ich das, was da kam, nicht aufhalten konnte. Marianne Kaurin hat mich hier ganz tief berührt und brauchte dafür keine detaillierten Beschreibungen, jedes einzelne Wort hat mich gepackt und nicht losgelassen.
Die Figuren der Geschichte wirken auf den ersten Blick fast genauso knapp beschrieben, wie die Sprache der Autorin. doch schnell wurde mir klar, was da wirklich geschieht. Ich sah, wie sich die junge Ilse, die so oberflächlich erscheint und doch einfach ein typischer Teenager ist, sich verliebt. Ihre ältere Schwester, die so gewissenhafte und verlässliche Sonja, hat tief in ihrem inneren einen Traum und endlich den Mut aufgebracht und diesen verfolgt. Die kleinste der drei Schwestern, so jung und unschuldig mit ihrer Puppe im Arm wirkte so bezaubernd. Der Vater, der so hilflos ist und seine Familie so gerne beschützen würde. Die verängstigte Mutter deren tiefe Verzweiflung spürbar wird. Jede einzelne Figur wurde nicht in ausschweifende Details beschrieben und doch ist diese Familie echt, lebendig und einfach da.

Mein Fazit

Es ist eine absolute Kunst, auf so wenigen Seiten, mit so wenigen Worten eine Geschichte zu erzählen, die bis ganz tief im Inneren berührt. Marianne Kaurin ist dies hier auf eine besonders beeindruckende Weise gelungen, denn sie erzählt von Hoffnung, von Träumen, von Liebe und Familie und wie all das verloren geht. Dieses Buch macht wieder bewusst, dass man wirklich alles daran setzen muss, dass sich die Geschichte nie mehr wiederholen darf.