Rezension

Gegen das Vergessen

Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden - Hédi Fried

Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden
von Hédi Fried

Bewertet mit 5 Sternen

„Irgendwann wurde mir klar, dass ich überlebt hatte, damit jemand vom Holocaust erzählen konnte. Wenn niemand vom Holocaust erzählt, dann wird er vergessen werden, und was vergessen wird, kann sich leicht wiederholen“ (S. 85, E-Book)

Nie wieder! Die heute 95-jährige Psychologin und Schriftstellerin Hédi Fried überlebte den Holocaust. Gemeinsam mit ihrer Schwester wurde sie 1945 aus dem Arbeitslager Bergen-Belsen befreit; die weiteren Familienmitglieder kamen im Konzentrationslager Ausschwitz ums Leben. Nach ihrer Befreiung kam sie nach Schweden und besucht dort seit den 80er Jahren weiterführende Schulen und Universitäten, um als Zeitzeugin des Holocausts über das erlebte Grauen zu sprechen, aufzuklären und die Fragen der jüngeren Generationen zu beantworten.

Das vorliegende Buch „Fragen, die mir zum Holocaust gestellt werden“ ist eine Sammlung dieser Fragen und Hédi Frieds Antworten darauf. Es sind zum Teil sehr direkte Fragen, gerade heraus, die die Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihr stellen. Und Hédi Fried antwortet. Weicht nicht aus, lässt sich nicht beirren. Sie ist offen und ehrlich, lässt sich auf ihr Gegenüber und dessen Neugier ein und beeindruckt mit ihrer ruhigen und besonnenen Art. Auf Fragen wie „Warum hasste Hitler die Juden?“ und „Wie konnte sich ein ganzes Volk hinter Hitler stellen“ gibt sie ebenso schlichte und weise Antworten wie auf die sehr persönlichen Fragen „Hatten Sie Angst vor dem Tod?“, „Können Sie vergeben?“ und „Nach allem, was Sie erlebt haben – glauben Sie an Gott?“. Ihre direkten Antworten lassen Leser und Zuhörer erschauern, transportieren jedoch keinen Groll, sondern einen starken Willen und ihre vehemente Haltung, gegen das Vergessen anzukämpfen.

Geschichtsunterricht, betont sie, spricht meist nur den Kopf an. Jahreszahlen und Namen werden auswendig gelernt, große Ereignisse dargestellt, aber es fehlen die Verknüpfungen dazwischen. Zeitzeugenberichte hingegen sprechen das Herz an, stellen die Verbindung zwischen der Makro- und Mikroebene her und lassen Geschichte fühlbar werden. Wie lange haben wir noch, um Zeitzeugen zu befragen? Um Überlebende des Holocausts erzählen zu lassen?

Dieses Buch ist meiner Meinung nach ein kostbares Juwel, das Geschichte erlebbar macht und damit gegen das Vergessen aufbegehrt. Hédi Fried macht deutlich, dass jedes Individuum eine enorme Verantwortung für die Gesellschaft trägt und jedes Einmischen und Schweigen Gewicht hat. Diese beeindruckende Frau hat die Zukunft der kommenden Generationen im Blick und appelliert an unsere Haltung: Nie wieder!

„Gewöhne dich nie an Ungerechtigkeiten. Eine Ungerechtigkeit ist wie ein Sandkorn in der Hand, man spürt ihr Gewicht nicht. Doch Ungerechtigkeiten neigen dazu, sich zu vermehren.“ (S. 13, E-Book)