Rezension

Geht unter die Haut!

Elefanten sieht man nicht - Susan Kreller

Elefanten sieht man nicht
von Susan Kreller

Bewertet mit 5 Sternen

Mascha ist 13 Jahre alt. Wie jeden Sommer, seit ihre Mutter tot ist, verbringt sie die Ferien bei den Großeltern. Diese leben in einer Siedlung, wo jeder jeden kennt, wo es Nachbarschaftsfeste und einen Schützenverein gibt und wo man am Gartenzaun ein Schwätzchen hält. Als Mascha die neunjährige Julia und den siebenjährigen Max kennenlernt, spürt sie schon gleich am Verhalten der Kinder, dass etwas nicht stimmt. Als sie dann noch zufällig die großen blauen Flecken an Julias Bauch und die Wunde an Max‘ Kopf sieht, weiß sie Bescheid. Sie beobachtet, wie der Vater der Kinder Max misshandelt. Nun ist es genug. Mascha sucht Unterstützung bei den Erwachsenen, bei Oma und Opa, bei den Nachbarn. Doch die sind Meister im Abwiegeln. In ihrer sauberen Siedlung gibt es so etwas nicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Doch Mascha lässt sich nicht beirren. Sie fühlt sich für die beiden Kinder verantwortlich, da sie allein weiß, was wirklich passiert. In einer Art Kurzschlusshandlung greift sie zu einer drastischen Maßnahme, die sicher nicht das Richtige ist. Dabei verrennt sie sich immer mehr in ihre Aktion, schafft es aber nicht, den Stein, der ins Rollen gekommen ist, wieder aufzuhalten.

Susan Kreller greift in ihrem Debütroman ein leider ständig aktuelles und brisantes Thema auf. Dabei liegt das Hauptaugenmerk weniger auf den Misshandlungen der Kinder, es kommt fast nicht mehr als das oben Beschriebene vor, sondern mehr auf der Ignoranz der Mitmenschen. Jeder weiß Bescheid, doch keiner schaut hin. Elefanten sieht man nicht. Keiner will sich Ärger einhandeln. Alle wollen nur ihre Ruhe, nicht ihre friedliche Siedlung in Verruf bringen. Es ist der Autorin ganz toll gelungen, diese Verlogenheit der Siedlungsidylle sdarzustellen, und dazu die Verzweiflung von Mascha, die genau das nicht will: wegschauen. Sie weiß, es ist richtig zu handeln, aber sie weiß nicht, was sie tun kann, wenn die Erwachsenen ihr nicht zuhören und glauben wollen. Sie ist offensichtlich mit der Situation überfordert. Aber wenigstens handelt sie und beweist damit mehr Mut als die Erwachsenen.

Das ganze Buch ist aus Maschas Sicht in der Ich-Form geschrieben. So kann man sich super in das Mädchen hineinversetzen, bekommt ihre Gedanken, Gefühle, ihre Verzweiflung direkt mit und kann vieles, was einem Außenstehenden vielleicht unlogisch erscheinen würde, nachvollziehen. Die Sprache ist den jugendlichen Lesern angepasst. Sie ist leicht verständlich, aber keine Umgangssprache, es gibt keine komplizierten Sätze, dafür aber viele unwahrscheinlich schöne poetische Ausdrücke. Z. B. auf S. 178: „Selbst im Dunkeln konnte man erkennen, wie schön das blaue Haus da ins Gerstenmeer passte, still lag es da und ließ den Wind über sein Dach gleiten.“

Fazit: Ein ganz fantastisches Debüt! Dieses Buch sollte jeder lesen, egal welchen Alters. Dabei ist es sicher gut, jüngere Leser nicht damit allein zu lassen, sondern mit ihnen darüber zu sprechen.