Rezension

Gelungener erster Band

Das Lichtenstein - Marlene Averbeck

Das Lichtenstein
von Marlene Averbeck

Bewertet mit 4.5 Sternen

Handlung:

Berlin 1913

Das Modehaus Lichtenstein hat einen fantastischen Ruf und steht vor allem für schicke Damenmode, elegante Herrenkleidung und eine hervorragende Beratung. Und im Sortiment lassen sich auch andere Dinge finden, wie z.B.: Haushaltswaren und es bleibt am Ende kein Wunsch der Kunden offen.

Dabei gibt es tagtäglich ein Kommen und Gehen, Menschen mit verschiedenen Schicksalen und Zielen treffen aufeinander und wollen ein erstklassiges Einkaufserlebnis erfahren. Um dies zu ermöglichen gibt es allerhand Mitarbeiter, die in unterschiedlichen Abteilungen arbeiten und für die Qualität des Modehauses stehen. Die Näherin Thea hat ihr Auge auf einen der Lichtenstein-Brüder geworfen und weiß insgeheim, dass diese Liebe fast aussichtslos ist. Hedi nimmt eine Anstellung als Ladenmädchen an und taucht in die Welt der Mode ein, eine große Leidenschaft ihrerseits. Jacob, der ältere der Brüder Lichtenstein möchte das Modehaus zu noch mehr Erfolg führen, was aber verlangen würde, dass es ein paar moderne Änderungen gibt. Doch sein Bruder hat in dieser Angelegenheit vollkommen andere Ziele. Trotzdem gibt Jacob nicht auf, er möchte seine Wünsche umsetzen, weil er weiß, dass sie der richtige Weg zu einer großen Zukunft sind. Alle Pläne werden durch einen Brand umgeworfen, das Lichtenstein geht in Flammen auf und davon betroffen ist nicht nur die Existenz der Inhaber, sondern auch die von zahlreichen Mitarbeitern...

 

Meinung:

Komplett kann mich das Cover immer noch nicht überzeugen. Ich mag die Farbgebung und das leicht körnige Gesamtbild gerne, auch das staatliche Haus im Hintergrund hat eine große Ausstrahlung und lenkt den Blick auf sich. Diese Aspekte überzeugen mich komplett und gefallen mir sehr gut.

Leider mag ich es nie so, wenn Personen auf dem Cover den Betrachter so eindeutig anschauen. Dagegen habe ich eine kleine Abneigung und auch hier stört es mich. Schade, wenn die junge Frau dem Betrachter ihr Profil zuwenden würde, fände ich die gesamte Szene deutlich angenehmer. Hier muss ich aber noch anmerken, dass ich es gut finde, wie sie der damaligen Mode entsprechend gekleidet ist. Grob weiß ich zwar, was zu welcher Zeit bevorzugt getragen, doch so hatte ich einen besseren Eindruck davon, was gerade modern war. Zumal dies ein wichtiger Aspekt des Buches ist, immerhin ist das Modehaus titelgebend.

 

Ich hatte das Buch erstmals bei Vorablesen gesehen und fand es allein vom Titel ansprechend. Daraufhin habe ich mir den Klappentext durchgelesen, der ebenfalls mein Interesse geweckt hat und mich schließlich auch noch der Leseprobe gewidmet, die ebenfalls zu überzeugen wusste. Mein Entschluss, mich dafür zu bewerben war somit gefasst und ich hatte tatsächlich das große Glück, ein Exemplar zu erhalten, was mich riesig gefreut hat. Denn irgendwie hatte mich der Roman nach der Leseprobe nicht losgelassen und ist mir immer im Hinterkopf herumgespukt. Auf jeden Fall möchte ich auch hier nochmal meinen Dank an Vorablesen und den DTV Verlag aussprechen, ich hatte wirklich viel Freude mit dem Roman, was ich auch im Folgenden noch erläutern werde.

 

Zuallererst erwartet den Leser eine Figurenübersicht, die die Charaktere mit wenigen Worten vorstellt. Auf diese Weise kann man sich bereits ein erstes Bild machen, erste Schlüsse ziehen und man wird nicht so ins kalte Wasser gestoßen. Zudem mochte ich, wie viel Lebendigkeit ihnen anhand der Fakten zugeschrieben wurde und es zeigt, wie viel Mühe sich die Autorin gegeben hat. Ich finde die Übersicht sehr passend und war froh, die Protagonisten erst einmal auf diese Weise kennenzulernen.

Weiterhin gibt es am Anfang die Bemerkung, dass es im Folgenden noch zusätzliches Material wie ein Glossar oder ein Personenverzeichnis mit historisch verbürgten Charakteren gibt. Gerade die Erwähnung des Glossars fand ich hilfreich, es gab doch ab und an mal ein Wort, welches mir nicht geläufig war und so wurde schnell Abhilfe geschaffen.

 

Ich hatte den Roman freitags begonnen und am Sonntag bereits ausgelesen gehabt. Ich war selbst davon ein wenig überrascht, ich wollte das Buch nie wirklich aus der Hand legen, sondern immer gab es einige dringende Fragen, die ich beantwortet haben wollte. Zu der hohen Spannung kommt noch eine hervorragend lesbare Schreibweise hinzu, die viele Szenen lebendig wirken lässt und ich konnte mir sowohl das Kaufhaus, als auch die Wohnungen der Charaktere hervorragend vorstellen. Jeder Charakter erhält eine gute Zeichnung, zudem wird es dem Leser komplett selbst überlassen, welche Personen er als sympathisch oder unsympathisch einschätzt.

Die Sprache war recht einfach, immer wieder mit Begriffen aus der Modewelt gespickt, die mir teils bekannt, teils vollkommen unbekannt waren, welche sich aber anhand des Glossars fix aufgelöst haben. Ab und an wurde außerdem ein berlinerischer Dialekt eingefügt, der bodenständig und passend gewirkt hat, zudem tauchte er nicht zu häufig auf und war daher in keinster Weise störend.

Ich kam zügig mit dem Lesen voran und bin mit diesem Aspekt vollkommen zufrieden.

 

Zu meinen Lieblingsszenen gehören die, in denen der alltägliche Kaufhausalltag bildhaft beschrieben wurde. Nicht nur die Abläufe fand ich interessant, sondern auch immer die Tatsache, wie viele verschiedene Menschen, die alle anderen sozialen Ständen angehören, mit unterschiedlichen Wünschen aufeinandertreffen und sich in einem Gebäude aufhalten. Eine faszinierende Vorstellung, auch was die Mitarbeiter tagtäglich für Geschichten miterleben. Sowohl für freudige, als auch für traurige Anlässe gibt es Kunden, die sich begegnen, ohne von dem Schicksal des anderen zu wissen. Spannend!

 

Im Buch tauchen vier Erzählperspektiven auf, die sich immer wieder abwechseln und verschiedene Sichtweisen auf die Protagonisten, aber auch auf die Geschehnisse und die allgemeine Situation in Berlin geben. Dabei werden verschiedene Schichten angesprochen, sowohl eine einfache Näherin aus Wedding kommt zu Wort, als auch eine angehende Schauspielerin, die ein prunkvolles Leben erwartet.

Drei der Perspektiven sind aus weiblicher Sicht, eine wird von einem Herren beschrieben, bei dem es sich um einen der beiden Lichtenstein-Brüder handelt. So bekommt man auch nochmal einen anderen Standpunkt auf die Dinge und erfährt von den Sorgen, die Jacob Lichtenstein um das Kaufhaus, aber auch um die Familie hat.

Anhand der vier Erzählperspektiven entsteht ein breitgefächertes Bild, man lernt unterschiedliche Lebensweisen kennen und kann sich von verschiedenen Ereignissen selbst einen Eindruck verschaffen. Zudem mag ich es, wie sich die Milieus unterscheiden und was für Einblicke in die Lebensarten gibt.

Anhand dieser Erzählweise kann man zudem immer wieder Einblicke in die Gedanken und Gefühle der Protagonisten erhaschen. Irgendwann bröckelt bei einem jeden die Fassade und ein anderes Bild der Person zeigt sich, welches nochmals bodenständiger ist und andere Facetten zeigt.

Längen konnten für mich auf diese Weise gar nicht erst entstehen, im Gegenteil: die Handlung blieb stets spannend, weil es immer wieder Fragen meinerseits gab, die durch eine weitere Lektüre beantwortet wurden. Außerdem kam immer wieder Abwechslung in die Geschichte, was immer gut ist.

 

Wie ich anfangs schon erwähnt hatte, hinterließen sowohl das Lichtenstein, als auch de Privatwohnungen der Mitarbeiter bei mir lebendige Bilder. Ich konnte mir sowohl das prachtvolle Modehaus, als auch die Büroräume, die Schneiderei oder den Hof des Gebäudes vorstellen. Sie waren nicht mit besonders vielen Worten beschrieben, sondern man konnte auch ein Stück weit seiner eigenen Fantasie Platz lassen. Ich empfand auch die Stimmung besonders, die von dem Modehaus ausgeht. Man konnte deutlich eine fröhliche und kauflustige Stimmung spüren, aber auch den Druck der Angestellten, die Kunden vollkommen zufriedenzustellen. Ich mochte es sehr, was für verschiedene Welten hier zusammentrafen und habe jetzt selbst Lust dazu, in einem solch würdevollen und ästhetischen Kaufhaus der 1910er einzukaufen.

Und auch die Wohnungen von Mitarbeitern waren mit einigen Worten bildhaft umrissen. Bei jedem kam eine bestimmte Stimmung durch, die sich auch ein Stück weit auf mich übertragen hat. Gerade Thea´s Wohnsituation hat mich in dieser Hinsicht sehr mitgenommen und ich würde fast sagen, dass mich dieses Setting am meisten überzeugt hat, obwohl nur wenige Szenen dort stattgefunden haben.

 

Die Handlung des Romans setzt kurz vor dem Ersten Weltkrieg ein und erstreckt sich auch über diesen. Daher gibt es insgesamt einen Handlungszeitraum von fünf Jahren. Dabei werden die Kriegsjahre fast komplett übersprungen, der Fokus liegt eindeutig auf dem Lichtenstein, was ich auch vollkommen in Ordnung finde. Zwar wäre es auch interessant gewesen, wie die Arbeit im Modehaus während des Krieges vonstatten geht, wie viele Mitarbeiter noch beschäftigt werden und wie die Kundschaft in dieser Zeit auftritt, gleichzeitig hätte dies wahrscheinlich auch den Rahmen gesprengt.

Anfangs gab es ab und an noch ein paar Hinweise auf die politische Situation, gerade der sich anbahnende Krieg ist immer mal ein Gesprächsthema. Doch ansonsten wird eigentlich gar nicht auf historische Fakten Bezug genommen, was ich schade fand. Einige Details hätte man gut in die Handlung verbauen können und so nicht nur ein breites Bild der Bevölkerung, sondern auch der allgemeinen Situation in Deutschland und Europa gegeben.

 

Es gibt eine Vielzahl an Protagonisten, die teils mehrfach, teils nur für wenige Seiten auftreten. Ein jeder hat dabei gemein, dass sie eine gut vorstellbare Zeichnung mit Eigenarten erhalten haben, was sie einzigartig macht und Wiedererkennungswert bietet. So entsteht außerdem ein breites Bild der Gesellschaft, man lernt Menschen unterschiedlicher Stände kennen und es gibt ein interessantes Zusammenspiel von mehr oder weniger privilegierten Personen.

Im besonderen Fokus stehen Jacob, Ella, Thea und Hedi. Ihnen, aber auch ihnen nahestehenden Personen, wurde viel Platz im Buch gewidmet und sie wurden mit eindringlichen Worten dargestellt. Sie stehen dem Leser am nächsten und zu ihnen kann man die beste Bindung aufbauen. Ich empfand alle vier als sympathisch, habe viele getroffene Entscheidungen unterstützt und mochte die abwechslungsreichen Lebensstadien, die alle vier durchlaufen.

Fazit:

Ich war sehr gespannt auf den Roman und hatte doch ein paar Erwartungen. Viele wurden erfüllt, aber leider nicht alle. Von der Schreibweise, aber auch von der Personenzeichnung und dem Setting bin ich vollkommen überzeugt worden und hatte daher viel Spaß beim Lesen und habe das Buch gerne in die Hand genommen um weiterzulesen. Auch von den vier Erzählperspektive und der Abwechslung, die dadurch entsteht, war ich sehr begeistert und fand die Einblicke in verschiedene Lebensweisen sehr interessant.

Leider hatte ich mehr hinsichtlich der Einbindung historischer Ereignisse erwartet, die sich nicht nur auf den Krieg beziehen. Ich finde, dass es hier gerne etwas mehr hätte sein können, um das Buch rund zu machen und um allgemein einen besseren Blick auf das Deutschland in den 1910ern zu geben. Und auch die Stimmung fehlt mir ein wenig, diese hat sich leider nur in den Gebäuden gefunden, von den Protagonisten kam in dieser Sache nichts herüber. Weder schöne Momente, noch tragische Ereignisse haben bei mir einen Eindruck hinterlassen.

Ansonsten freue ich mich jetzt schon auf die beiden Fortsetzungen, ich bin sehr gespannt, wie es weitergehen wird und welche Protagonisten im nächsten Band wieder auftreten. Zudem habe ich noch ein paar Fragen und es gab bereits ein paar Anspielungen auf mögliche Probleme, die vielleicht im zweiten Teil beantwortet werden. Bis dahin dauert es leider noch gut ein Jahr, aber schon jetzt steht die Fortsetzung ganz weit oben auf meiner Wunschliste. Ein spannungsreicher erster Band, der Lust auf die weiteren Bücher macht und mir sehr gut gefallen hat!