Rezension

Gelungener Fantasy-Roman!

Alica - Bernhard Hennen

Alica
von Bernhard Hennen

Bewertet mit 4 Sternen

*Worum geht's?*
Bei der Geburt ihres kleinen Halbbruders Paul hat Alicas Mutter eine Menge Blut verloren und liegt seitdem auf der Intensivstation. Der neue Freund ihrer Mutter ist mit dieser Situation so überfordert, dass er Alica für ein paar Wochen zu ihren Großeltern schickt. Welch ein Grauß! Alica hasst es dort: Es ist todlangweilig. Außerdem versteht sie sich nicht mit ihrem Großvater. Bereits bei ihrer Ankunft bemerkt Alica, dass ihre Zeit auf dem Rittergut nicht gewöhnlich ablaufen wird: Ein Geisterfalke treibt auf dem Grundstück sein Unwesen. Kurz darauf begegnet Alica dem Heinzelmann Wallerich, der sie über Märchen, Mythen und Sagen aufklärt. Zusammen machen sie sich an die Arbeit, den Geisterfalken zu erlösen. Als wäre all dies noch nicht genug, trifft Alica auf den Geist des Husarenjungen François und verliebt sich. Um ihn wiederzusehen, lässt sie sich sogar auf die schwarze Magie der dunklen Königin ein - ohne über die Konsequenzen nachzudenken...

*Kaufgrund:*
Der Klappentext hat mich neugierig gemacht und sofort meinen "Das ist eine Geschichte, die in mein Beuteschema passt"-Leseinstinkt geweckt. Die vielen positiven Bewertungen des Buches steigerten meine Erwartungen.

*Meine Meinung:*
Mit vierzehn Jahren glaubt man nicht mehr an Feen, Kobolde oder Gespenster. Die Erwachsenen erklären den Kindern immer und immer wieder, dass das Monster unter dem Bett nicht existiert, dass bei Nacht keine Geister auftauchen und dass es keine frechen Elfen waren, die das plötzlich unauffindbare Spielzeug geklaut haben. Irgendwann prägen sich diese Worte schließlich ein und mit dem Erwachsen werden verlieren Kinder ihren Glauben an die Mythen, Sagen und Legenden. Bei Protagonistin und Titelgeberin Alica war es nicht anders; auch sie hält phantastische Geschöpfe für Hirngespinste, bis sie auf dem Rittergut ihrer Großeltern eines besseren belehrt wird. Hennen ist es dabei auf eine auf wunderbare Art gelungen, diese Wesen in die uns bekannte Welt zu integrieren, ohne ihnen etwas ihrer Magie abzuverlangen. In der mystischen Parallelwelt "Nebenan", die den Leser nicht nur wegen ihres treffenden Namens oft schmunzeln lässt, verstärkt sich die ohnehin übersinnliche Atmosphäre des Buches erneut.

Den Handlungsverlauf fand ich großartig. Man kann nicht behaupten, dass es eine innovative Idee gibt, die noch in keinem anderen Buch zuvor genutzt worden ist. Trotzdem macht die Handlung keinen eintönigen Eindruck. Man fühlt sich nicht so, als hätte man die Geschichte schon ein paar mal gelesen, wie es bei vielen "All Age"-Romanen der Fall ist. Dies liegt zum einen an der männlichen Hauptfigur, einem - im Genre noch relativ unverbrauchten - Geist statt eines Vampirs/Werwolfs/usw., aber auch an den wirklich realen Umgebungen und Situationen. Ein Großteil des Romans spielt im Jahre 1812. Dass Hennen Historiker ist, macht sich hier durchaus bezahlt: Die gut recherchierten und beschriebenen historischen Umstände, wie die Feldzüge der Franzosen, sorgen für eine echte, natürliche Stimmung. So ist es einem als Leser möglich, völlig in Alicas Abenteuer, das, dank der wahren Bezüge, stets authentisch, niemals aufgesetzt wirkt.

Die Protagonistin ist ein tapferes, sehr toughes Mädchen. Vor Jahren ist ihr Vater auf einer Expedition verschollen. Die Ungewissheit, ob er noch lebt oder nicht, begleitet Alica permanent. Nun liegt auch noch ihre Mutter auf der Intensivstation, da sie bei der Geburt ihres Halbbruders Paul zu viel Blut verloren hat, und Alica wird zu ihren Großeltern geschickt, zu denen sie keine nennenswerte Bindung pflegt. Sie ist mit ihren Problemen und Sorgen völlig auf sich allein gestellt, was der Vierzehn-Jährigen sichtlich schwer fällt. Durch ihre Begegnung mit dem Geisterfalken, dem Heinzelmann Wallerich und den anderen Märchenwesen findet Alica eine willkommene Ablenkung, die sie in einen wilden Strudel voller Erlebnisse mit ungeahnten Konsequenzen reißt. Sie ertappt sich sogar dabei, dass sie ihre Mutter und ihre Sorgen zeitweise vergisst. Obwohl sie sich dafür tadelt, merkt man ihr deutlich an, dass sie an der Reise in die Vergangenheit wächst und selbstbewusster wird. Alica ist eine geborene Protagonistin, die man gerne in sein Herz schließt. Leider muss ich sagen, dass sie mir auf eine unerklärliche Weise fremd blieb. Dies ist allerdings kein Kritikpunkt an Hennen, er hat bei der Gestaltung seiner Hauptfigur alles richtig gemacht. Es ist eher eine persönliche Sache; manchmal findet man zu den Figuren eines Romans einfach keinen richtigen Zugang.

Dem Husarenjungen François, dem männlichen Protagonistengeist, stehe ich zwiegespalten gegenüber. Auch an ihm merkt man, dass der Autor studierter Historiker ist. Charakter und Verhalten spiegeln wider, in welcher Zeit François gelebt hat. Allerdings hat mir der Husarenjunge zu wenig Kanten; er wirkt zu perfekt, und damit unnatürlich. Zusammen mit Alica bildet er jedoch insgesamt ein romantisches Pärchen, mit dem man gerne mitfiebert. Einzeln überzeugt mich François aber nicht.

Die Nebenfiguren, die viel tiefgründiger sind als man erwartet, sind mein absolutes Highlight in "Alica". Sie haben in mir die meisten Emotionen geweckt. Alicas Großvater Carl durchlebt den größten Wandlungsprozess im Roman. Anfangs ist er ein sturer Mann, der sich beim Leser nicht sonderlich beliebt macht. Im Laufe der Handlung ändert sich dies langsam, aber extrem. Heinzelmann Wallerich und seine Möwe Schnapper dagegen sorgen für viele herzhafte Lacher und haben sich zu meinen Lieblingsfiguren entwickelt (An alle, denen es genauso ging, ist Hennens Roman "Nebenan" zu empfehlen, indem diese Figuren erneut auftauchen!). Aber auch die Hexe Knuper hat mich mit ihrer ironischen Art und ihrem makaberen Humor begeistert. Ich fand es sehr schade, dass sie nur so eine geringe Rolle spielte. Außerdem ist die dunkle Königin DIE perfekte Antagonistin, die alle Züge eines Bösewichts aufweist und ideal repräsentiert.

Das Ende des Romans rundet die Geschichte ab und hinterlässt einige kleinere offene Fragen, die zum Nachdenken anregen, aber nicht zwingen. Die Haupthandlung ist abgeschlossen und hinterlässt kein unbefriedigendes Gefühl. Man fühlt sich als Leser nicht allein gelassen. Insgesamt bleibt das Ende jedoch unspektakulär und im Gegensatz zum Rest der Geschichte sehr flach.

Zum Abschluss sei gesagt, dass es sich bei "Alica" um eine Neuauflage von "Alica und die dunkle Königin" handelt. Nicht, dass da jemand an eine Fortsetzung denkt!

*Cover:*
Zu "Alica" findet man die unterschiedlichsten Cover: Das aktuelle, das damalige (Ueberreuter-Verlag) und das kommende (Heyne-Verlag). Das jetzige Cover des Ueberreuter-Verlags gefällt mir von all diesen noch am besten. Das mittlerweile Genre-typische Frauen- bzw. Mädchengesicht ist zwar nicht mein Geschmack, allerdings sind die Verzierungen sehr schön gestaltet. Das ältere Cover ist mir zu altbacken geraten, während mir die kommende Ausgabe beim Heyne-Verlag dagegen zu sehr nach High Fantasy aussieht.

*Fazit:*
Insgesamt ist Bernhard Hennen mit "Alica" ein wunderbarer Fantasy-Roman gelungen, der seinen Lesern ein paar schöne Lesestunden verschaffen wird. Auch wenn es mir persönlich schwer fiel, mich mit Alica zu identifizieren, so bin ich mir doch sicher, dass es den meisten Anderen nicht so ergehen wird. Im Einzelnen konnten mich die beiden Protagonisten aber nicht umhauen. Die Handlung, der Schreibstil sowie die Nebencharaktere hingegen konnten mich wirklich überzeugen. Insgesamt vergebe ich daher 4 Sterne.