Rezension

Gelungener Jugenroman

Alles, was ich sehe - Marci Lyn Curtis

Alles, was ich sehe
von Marci Lyn Curtis

Maggie ist seit einer Hirnhautentzündung blind und verdammt unglücklich damit. Ihr ganzes Leben, den Fußball, ihre Freunde, ihr früheres Zimmer, musste sie aufgeben. Eigentlich will sie sich in dieser Welt aus Dunkelheit gar nicht zurecht finden. Da trifft sie auf den zehnjährigen Ben. Und plötzlich ist alles anders, denn sie kann ihn sehen.

Fasziniert, neugierig und süchtig nach den „normalen“ Momenten, verbringt Maggie viel Zeit mit Ben. Wäre da nur nicht sein großer Bruder Mason, der in Maggies Lieblingsband spielt, und sich ziemlich sicher ist, dass Maggie ihre Blindheit nur vortäuscht, um an ihn ranzukommen. Doch der Grund, warum Maggie Ben sehen kann, ist kein leichter und schnell wird ihr klar, dass es um mehr geht, als kurze Momente des Sehens.

Wohin das große Geheimnis des Romans führen soll, war mir relativ schnell klar. Darum habe ich mich eher auf das Wie konzentriert und die Entwicklung der Figuren. Maggie ist zu Beginn noch nicht in ihrer Situation angekommen. Sie verweigert sich allem. Den Übungen, die ihr helfen sollen, sich zurecht zu finden, der neuen Schule, den neuen Mitschülern. Notgedrungen macht sie Hausaufgaben mit einer Mitschülerin, die seit Geburt blind ist. Und nur notgedrungen quält sie sich zu ihrer Lehrerin für das Zurechtkommen in der Dunkelheit. Sie kann sich mit ihrer Situation nicht abfinden und ist im Grunde nur mit Ben zusammen, weil sie ihn und seine direkte Umgebung sehen kann.

Das ändert sich. Maggie entwickelt sich. Sie entdeckt Gemeinsamkeiten mit ihrer neuen Freundin und erkennt in Ben einen liebenswerten Jungen, der sie im Grunde verzaubert. Sie lernt seinen Bruder kennen und trifft auch hier auf eine Figur, der sich mit der ihm vorgestellten Realität nicht abfinden wollte und sie verändert hat. Und irgendwie schwebt über allem der unausgesprochene Konflikt mit ihren Eltern, die sich seit Maggies Hirnhautentzündung anders verhalten. Schuld und Scham kommen zusammen. Zwei Dinge, mit denen auch Maggie sich schnell konfrontiert fühlt.

Das Ende von Alles, was ich sehe ist eines voller Hoffnung, aber kein unrealistisches. Es zeigt Wege auf, die zunächst unsichtbar erscheinen und führt Maggie zu einem Punkt, den sie sich immer erträumt hat, nur eben ein bisschen anders. Das Schöne an dem Roman ist also die Entwicklung der Figuren – denn wirklich alle lernen hier etwas dazu.

Interessant ist dabei auch die leichte Veränderung der Sprache. Während Maggie als Erzählerin gerade am Anfang einfach nur furchtbar nervig ist und ich mit dem Augenrollen nicht hinterher gekommen bin, zeigen sich hier die ersten Entwicklungen am schnellsten. Weniger zynisch wird sie, ehrlicher, auch mit sich selbst, und weniger kindisch. Also – natürlich – ist der Roman auch einer über das Erwachsenwerden. Über das zu sich Finden und die Entdeckung der Tätigkeit, die Ben als „das absolute Ding“ bezeichnet.

Mir hat Alles, was ich sehe gut gefallen. Viel Entwicklung auf Figuren- wie Handlungsebene und eine Überlegungen stecken darin. Mit der Sprache musste ich erst etwas Grün werden, dann war ich aber irgendwann ganz drinnen und konnte nicht mehr aufhören.