Rezension

Gelungener Religionsthriller

Das Jesus-Experiment - Bernd Roßbach

Das Jesus-Experiment
von Bernd Roßbach

Bewertet mit 3.5 Sternen

Stellen Sie sich vor, jedes Erlebnis ihres Lebens wird nicht nur als unmittelbare Erinnerung in ihrem Gedächtnis gespeichert sondern hinterlässt eine bleibende Änderung in der Hirnstruktur, die an die Nachfahren vererbt wird. Der Hirnforscher Tom Jennings findet eine Möglichkeit, diese ererbten Erinnerungen nachzuweisen und was noch besser ist, sie als eine Art Filmsequenz auf den Computer übertragen zu können. Eine Technik, die unzählige Möglichkeiten und Vorteile bietet, die aber auch, in den falschen Händen, ein höchst zerstörerisches Potential hat. Jennings, der finanzielle Probleme hat, verkauft seine Technik, die er „Recalls“ nennt, an Lancette, einen Fernsehproduzenten, der in einer möglichst spektakulären Show Erinnerungen an bekannte, verstorbene Persönlichkeiten lebendig werden lassen will. Als Jennings durch einen Ahnenforscher auf eine mögliche bestehende direkte Erblinie von Pontius Pilatus aufmerksam gemacht wird, ergibt sich die Chance auf eine Sensation: Kann durch die Recall-Technik tatsächlich ein Bild von Jesus Christus aufgerufen werden?
Die Möglichkeit, Gedanken zu lesen und in Bilder zu verwandeln bietet aber auch kommerzielle Perspektiven und Jennings, der als Wissenschaftler zu sehr auf die Forschung fokussiert ist, um das Potential und die Gefahr zu erkennen, befindet sich in den Händen von Lancette und zwischen allen Fronten.

Meinung: Zunächst einmal muss man sich auf das Thema einlassen. Zunächst fiel es mir erstaunlich schwer, die postulierte Tatsache der vererbbaren Erinnerungen soweit zu akzeptieren, dass ich die Geschichte als das Lesen konnte, was sie ist: Science Fiction auf Basis bekannter biologisch-genetischer Grundlagen. Roßbach schafft es äußerst geschickt, diese Grundlagen einzuweben: Gleich zu Beginn verweist er auf existierende Studien zu vererbbarem Angstverhalten bei Ratten, dann wieder lässt er seinen Protagonisten eine der Koryphäen der frühen Hirnforschung erwähnen. So habe ich mich nach den ersten Seiten, auf denen ich es noch kategorisch abgelehnt habe, dass so etwas tatsächlich möglich sein könnte, plötzlich gefragt: was wäre wenn…? Und spätestens ab da hatte mich die Geschichte gefesselt. Der Roman hat alles, was ein guter Thriller braucht: Er schafft es, den Leser in die Geschichte hineinzuziehen, sorgt für zahlreiche, oft schwer greifbare Gefahren und Bedrohungen und wächst sich zu einer atemlosen Spannung aus, in der man als Leser jederzeit mit einem neuen Angriff, mit einem neuen Täter rechnet, ohne vorher die „alten“ Bedrohungen richtig verstanden zu haben. Man ist, zusammen mit Jennings dauernd beschäftigt, Verknüpfungen zwischen einzelnen Tätern und Fällen herzustellen um diese Theorien im nächsten Moment wieder zu verwerfen, da sich dauernd ein neues Bild ergibt. Währenddessen begleitet man Jennings zu verschiedenen Fachleuten ihres jeweiligen Gebiets, die zugleich auch dem Leser die nötigen Hintergrundinformationen liefern, eine Technik, mit der es Roßbach mustergültig gelingt, seine sauber recherchierten Fakten zu verweben ohne langatmige Belehrungen und Abhandlungen zu schreiben.
Einige Kritikpunkte gibt es dennoch:
Jennings als Protagonist bleibt leider etwas eindimensional: Er ist stereotyper Forscher. Ein anderer Forscher, der allerdings nur als Nebenperson auftritt, ist da sehr viel plastischer gezeichnet: Der Bibelforscher Pelagrini, der die Ambivalenz zwischen tatsächlichen historischen Fakten und Wissen einerseits und dem Glauben und der christlichen Hoffnung andererseits bewerkstelligen zu scheint und daher auch irgendwie dem Schluss des Romans einen Charakter gibt. Insgesamt ist die Charakterbeschreibung durchwachsen: Es gibt sehr klar gezeichnete Personen (wie zB Pelagrini und auch den Ahnenforscher Casalini), dann wiederum bedient sich Roßbach typischer Klischees: Forschersterotypen, mordende Mönche und geldgierige Investoren, die vor Menschen- und Persönlichkeitsrechten nicht zurückschrecken.
Ein bisschen zu unübersichtlich waren die verschiedenen Verschwörungsstränge: zuerst tauchten FBI und Secret Service auf, um dann für so lange Zeit aus der Geschichte zu verschwinden, dass man sie als Leser schon fast vergessen hat dann wieder Mönche, die alte Papiere studierten und sich gegenseitig niederschlugen. Diese Mönche, die dem Jesuitenorden angehören, stellen mit ihren Riten und uralten Geheimnissen ein absolutes Gegenbild zum wissenschaftlich agierenden Jennings dar. Van Hoogstraat, ein Konkurrent von Jennings, beansprucht die Forschungsergebnisse für sich und paktiert mit einem einflussreichen Medienmogul, um seinerseits Kapital schlagen zu können. Ein Angriff also von allen Seiten, der Leser weiß nicht mehr wem er trauen kann. So weit ganz schön aufgebaut, aber in der Auflösung werden dann einige Stränge scheinbar vergessen oder sehr verkürzt aufgelöst.
Alles in allem ein sehr gelungener Religionsthriller, der unglaublich spannend ist und ein rasantes Thema vorlegt. Die Idee ist wahnsinnig gut und bietet Stoff für so viel, vielleicht ist gerade das das Problem des Romans: Zu viele Themen auf einmal, sodass einiges ein bisschen zu kurz kommt.