Rezension

Gelungenes Debüt

Zeig mir das Morgen - Julie Cantrell

Zeig mir das Morgen
von Julie Cantrell

Bewertet mit 5 Sternen

Millie wächst in den Dreißigern/ Vierzigern in einer kleinen Hütte in den Südstaaten auf. Sie sammelt Pekannüsse und verkauft sie in der Stadt, hat einen guten Draht zu Tieren, sitzt oft auf ihrem Lieblingsbaum "Sternchen" und beobachtet das Geschehen von oben, und sie hat einen besonderen Freund: Sloth, ihren alten schwarzen Nachbarn, der voller einfacher Lebensweisheit steckt und bei dem sie Halt findet. Und den braucht sie auch. Denn der selten anwesende Vater ist Alkoholiker und prügelt oft besinnungslos auf die Mutter ein, die hin und wieder in endlose depressive Phasen verfällt. Millie nennt es: im tiefen Tal. Und muss schneller erwachsen werden, als es ihr lieb ist. Denn Sloth ist eines Tages nicht mehr da. Dafür taucht immer wieder ein geheimnisvoller Zigeunerjunge auf, der Millie fasziniert. Und ein mysteriöses Kästchen, das die Mutter am Fluss vergraben hat. Eines Tages kann Millie ihre Neugier nicht mehr zügeln und tritt damit eine Lawine von Ereignissen los, die sie auf drastische Weise mit der familiären Vergangenheit, aber auch mit einer ungewissen Zukunft konfrontieren. Und sie muss eine Entscheidung fällen ...

Die Suche nach der Wahrheit und nach ihren Wurzeln ist für Millie auch mit der schmerzhaften Suche nach Gott verbunden. Von der Mutter hat sie das Psalmenrezitieren gelernt, aber sie lernt auch die Verlogenheit einer um Perfektion bemühten oberflächlich-christlichen Gesellschaft kennen, die zwar für verloren Seelen beten, aber mit Abweichungen von der Norm nicht umgehen kann. Im Laufe ihrer Suche lernt Millie, eigene Schlüsse zu ziehen und so wirklich allmählich erwachsen zu werden ...

Dieser in jeder Hinsicht gelungene Debütroman von Julie Cantrell wurde zurecht preisgekrönt. Er ist wunderbar dicht geschrieben, mit einer Tiefenschärfe, die nichts verharmlost und nichts erspart, ergreifend, traurig, und doch voller Hoffnung und Menschlichkeit.
Und obwohl ich aus persönlichen Gründen einige Wochen Lesepause einlegen musste, fand ich schnell wieder hinein und konnte das Buch am Ende nicht mehr aus der Hand legen. Mein krönender Leseabschluss des zur Neige gehenden Jahres.